Austin-Sparks.net

Den Herrn kennen

von T. Austin-Sparks

Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Nov-Dez 1930, Vol. 8-6. Originaltitel: "On Knowing the Lord (1930)". (Übersetzt von Manfred Haller)

«Um Ihn zu erkennen...» - Phil. 3,10.
«So lange bin ich nun schon bei euch, und du kennst mich nicht?» - Joh. 14,9.
Phil. 1,10; Hebr. 8,11; 1. Joh. 1,20.27.

Es ist für die Kinder Gottes von größter Bedeutung, völlig zu verstehen, dass es vor allen Dingen Sein Ziel ist, dass sie Ihn erkennen sollen. Dies ist das alles beherrschende Ziel all Seines Umgangs mit uns. Und dies ist auch das größte all unserer Bedürfnisse.

Es ist das Geheimnis der Kraft, der Ausdauer und des Dienstes. Es bestimmt auch das Ausmaß unserer Brauchbarkeit für Ihn. Es war die eine große Passion im Leben des Apostels Paulus selbst. Es war die Ursache für sein unaufhörliches Ringen um die Heiligen. Es ist das Herz und die Achse des gesamten Hebräerbriefes. Es war das Geheimnis des Lebens, Dienstes, des Ertragens, der Zuversicht unseres Herrn Jesus als Sohn des Menschen.

All diese Tatsachen benötigen, dass wir sie näher betrachten. Wir beginnen stets mit dem Herrn Jesus als Gottes Repräsentanten, den Menschen nach dem Herzen Gottes. In Seinem Leben auf Erden gaben es keinen Teil oder Aspekt, dessen Stärke und Fähigkeit nicht in Seiner inneren Kenntnis Gottes, Seines Vaters, wurzelte und aus der er sie bezog. Wir dürfen nie vergessen, dass Er ein Leben äußerster Abhängigkeit von Gott führte, und das freiwillig. Er schrieb alles Seinem Vater zu: Wort, Weisheit, und Werke. Die Wunder wurden ebenso möglich durch Seine Apostel wie durch Ihn selbst. Das stellt jedoch die Apostel dennoch nicht auf dieselbe persönliche Stufe mit Ihm selbst. Seine Gottheit bleibt. Er ist Gott geoffenbart im Fleisch; aber Er hat vom menschlichen und auf den Menschen bezogenen Standpunkt aus die Beschränkungen und die Abhängigkeit des Menschen akzeptiert, damit Gott wirklich Gott sei geoffenbart im Fleisch. Wir haben hier eine Unterordnung, aufgrund derer Er nichts aus sich selber tun konnte (Joh. 5,19, etc.). Das Prinzip Seines ganzen Lebens in jeder Phase und in jedem Detail war Seine Kenntnis Gottes. Er kennt den Vater in der Angelegenheit der Worte, die Er spricht, der Werke, die Er tut, der Männer und Frauen, mit denen Er es zu tun hatte; aber auch im Blick auf die Zeit des Redens, Handelns, Gehens, Bleibens, Übergebens, Verweigerns, Schweigens; ebenso im Blick auf die Motive, Vorwände, Bekenntnisse, Anfragen, Vorschläge sowohl von Menschen als auch von Satan. Er weiß, wann Er Sein Leben hingeben soll und wann nicht. Ja, hier wird alles beherrscht von der inneren Kenntnis Gottes. Es gibt zahllose Zeugnisse in der Apostelgeschichte, was die praktische, und in den Evangelien, was die dogmatische Seite der Offenbarung von Gottes Sinn betrifft, dafür, dass von Gottes Seite beabsichtigt war, dass dieses Prinzip als das Grund legende Gesetz vom Leben des Volkes Gottes durch dieses Zeitalter hindurch durchgehalten werden sollte. Diese Kenntnis war im Falle des Herrn Jesus das Geheimnis Seiner vollständigen Überlegenheit und Seiner absoluten Autorität.

Meister in Israel werden Ihn aufsuchen, und der Punkt, an dem ihre Suche zu Fall kommen wird, wird der des Wissens sein. «Was, du bist der Lehrer von Israel und verstehst diese Dinge nicht?» (Joh. 3,10). Nikodemus ist zu Einem gekommen, der weiß, und Dessen Autorität diejenige der Schriftgelehrten überragt, und zwar nicht nur in Bezug auf den Grad, sondern auch auf die Art.

Gegen das Ende des Johannesevangeliums hin, das ganz besonders diese Angelegenheit ins Blickfeld rückt, erscheint das Wort «erkennen» bzw. «wissen» fünfundfünfzig Mal. Unser Herr macht die Feststellung, dass «dies das ewige Leben ist, dass sie dich, den einzig wahren Gott, erkennen, und den du gesandt hast, Jesus Christus» (Joh. 17,3). Das bedeutet nicht bloß, dass das ewige Leben aufgrund dieser Erkenntnis verliehen wird. Es kann Leben vorhanden sein mit einer sehr begrenzten Erkenntnis. Doch Leben in Fülle ist eng mit dieser Erkenntnis verbunden, und die Zunahme des Ihn Erkennens manifestiert sich in der Zunahme von Leben. Es funktioniert in beiden Richtungen: Erkenntnis führt zu Leben, und Leben führt zu mehr Erkenntnis.

Wenn wir eingesehen haben, dass der Herr Jesus selbst als Mensch den Gott gemäßen Menschen repräsentiert, dann sind wir gut ausgerüstet, um zu merken, dass

Das dominierende Ziel des göttlichen Handelns an uns

dies ist, dass wir Ihn erkennen.

Das erklärt all unsere Erfahrungen, Prüfungen, Leiden, Verlegenheiten, Schwachheiten, misslichen Lagen, Sackgassen, Vereitelungen, Drucksituationen. Während die Verfeinerung des Geistes, die Entwicklung der Gnadenwirkungen, die Beseitigung der Schlacke alles Ziele des Feuers sind, doch vor allem und durch alles hindurch geht es um dieses eine Ziel: dass wir den Herrn erkennen sollen. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Herrn wirklich kennen zu lernen, und das ist durch Erfahrung.

Unsere Gedanken beschäftigen sich so oft mit dem Dienst und dem Werk; wir glauben, Dinge für den Herrn zu tun sei der Hauptzweck des Lebens. Wir machen uns Sorgen um unser Lebenswerk, um unseren Dienst. Wir meinen, wir müssten uns dafür rüsten in Form von Studium und der Kenntnis von Dingen. Seelengewinnung, die Unterweisung der Gläubigen, oder das zur Arbeit Anhalten von Leuten stehen so sehr im Vordergrund. Bibelstudium und Schriftkenntnis, wirksam angewandt mit dem Ziel im Blick, Christen im Dienst anzuleiten, sind für uns alle eine Angelegenheit von dringender Wichtigkeit. Alles recht und gut, denn das sind in der Tat wichtige Dinge; doch hinter allem ist der Herr mehr daran interessiert, dass wir Ihn kennen, als an irgend etwas anderem. Es ist sehr wohl möglich, eine wunderbare Auffassung der Schrift zu haben; eine umfassende Vertrautheit mit der Lehre; für Grund legende Wahrheiten der Schrift ein zu stehen; ein unermüdlicher Arbeiter im christlichen Dienst zu sein; eine große Hingabe zur Errettung von Menschen zu besitzen, und dennoch im Innern eine unangemessene und beschränkte persönliche Erkenntnis Gottes zu haben. So oft muss der Herr uns die Arbeit wegnehmen, damit wir Ihn entdecken. Der eigentliche Wert von allem liegt nicht in der Information, die wir zu geben imstande sind, nicht in der Klarheit unserer Lehre, nicht in der Menge der Arbeit, die wir verrichten, auch nicht im Maß an Wahrheit, das wir besitzen, sondern ganz einfach in der Tatsache, dass wir den Herrn auf tiefe und mächtige Weise kennen.

Dies ist das eine, das bleibt, nachdem alles andere vergangen ist. Es ist das, was unserem Dienst Dauer verleihen wird, nachdem wir gegangen sind. Auch wenn wir andern in vielerlei Hinsicht und durch viele Hilfsmittel haben helfen können, was ihr irdisches Leben betrifft, unser wahrer Dienst an ihnen gründet sich auf unserer Kenntnis des Herrn.

Das größte Problem eines Christenlebens ist

Das Problem der Führung

Wie viel ist doch schon über dieses Thema gesagt und geschrieben worden! Das letzte Wort für so viele ist: «Bete darüber, übergib es Gott, tu das, was du für richtig hältst, und vertraue Gott, dass Er dafür sorgt, dass alles richtig heraus kommt!» Das scheint uns doch eher schwach und unangemessen. Wir erheben nicht den Anspruch, fähig zu sein, die umfassende und abschließende Grundlage für Führung festzulegen, doch sind wir der festen Überzeugung, dass es eine Sache ist, Anweisung für Ereignisse, Vorfälle und Zufälle zu erlangen, und eine ganz andere, eine bleibende, persönliche und innere Kenntnis des Herrn zu besitzen. Es ist eines, in Notsituationen und zu speziellen Zeiten einen Freund um Rat zu fragen oder darum, welchen Kurs wir einschlagen sollen; doch ist es noch etwas ganz Anderes, mit einem Freund zu leben, so dass man mit der Zeit ganz allgemein einen Sinn dafür entwickelt, wie er denkt, der uns dann in ganz konkreten Dingen sagt, was wir tun sollen.

Wir wollen Einweisungen und Befehle, doch der Herr möchte, dass wir eine ganz bestimmte «Gesinnung» haben. «Habt diese Gesinnung in euch». «Wir aber haben den «Sinn» Christi». Christus hat ein bestimmtes Bewusstsein, und durch den Heiligen Geist möchte er uns dieses Bewusstsein geben, bzw. es in uns entwickeln. Die inspirierte Aussage diesbezüglich lautet: «Seine Salbung lehrt euch in Bezug auf alles». Wir sind nicht Knechte, wir sind Söhne. Befehle als solche sind für Knechte, die Gesinnung ist für Söhne.

Es findet sich ein erschreckender Zustand unter dem Volk Gottes von heute. So viele führen ihr Leben fast vollständig in dem, was für sie äußerlich ist – in ihrer Beratung und Führung, in ihrem Unterhalt und ihrer Unterstützung, ihrer Erkenntnis, ihren Gnadenmitteln. Persönliches, inneres, geistliches Wissen ist eine sehr seltene Sache. Kein Wunder verfolgt der Feind eine solch erfolgreiche Linie durch Täuschungen, Fälschungen und Falschdarstellungen. Unser größter Schutz gegen solche Dinge wird eine tiefe Erkenntnis des Herrn durch Disziplin sein.

Den Herrn auf wahre Weise zu kennen bedeutet Standfestigkeit, wo andere hinweg getrieben werden – Standfestigkeit durch Zeiten der Feuerprobe. Diejenigen, die den Herrn kennen, strecken ihre Hand nicht aus, um die Dinge herbei zu führen. Sie sind voll Liebe und Geduld, und sie verlieren ihre Fassung nicht, wenn alles in Stücke zu zerfallen scheint. Vertrauen ist eine wesentliche und unentbehrliche Frucht dieser Erkenntnis, und in denen, die Ihn kennen, besteht eine stille, ruhige Stärke, die von einer großen Tiefe von Leben spricht.

Um zum Schluss zu kommen lasst mich euch daran erinnern, dass «in Christus alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen» sind, und es ist des Herrn Wille für uns, dass wir zu einer immer größer werdenden Wahrnehmung und persönlichen Wertschätzung von Ihm gelangen, in dem alle Fülle wohnt.

Wir haben nur Tatsachen festgestellt, wenn es darum geht, den Willen des Herrn für all die Seinen und für deren größte Bedürfnisse zu erkennen.

Das Fehlen einer solchen echten Erkenntnis des Herrn hat sich als der tragischste Faktor in der Kirchengeschichte heraus gestellt.

Jedes frische Auftreten eines anormalen Zustandes hat die erschreckende Schwäche unter dem Christenvolk enthüllt, die gerade wegen dieses Mangels besteht: Wellen von Irrtum; ein Pendelumschwung zur Akzeptanz von irgend etwas, das wieder frisch und populär geworden ist; ein großer Krieg mit seinen Schrecken und seinen vielfältigen Glaubensprüfungen; sie alle haben unzählige Scharen von Gläubigen weggefegt und sie in den geistlichen Ruin getrieben.

Diese Dinge sind stets nahe zugegen, und wir haben diese Botschaft geschrieben, um das Volk des Herrn dazu zu drängen, dass es konkrete Behandlungen durch Ihn sucht, damit Er für sie Maßnahmen ergreifen kann, damit sie Ihn kennen können.


In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.