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Ein Kind über die Nationen

von T. Austin-Sparks

Zuerst veröffentlicht und bearbeitet in den Zeitschriften "Toward the Mark", Jul-Aug 1972, Vol. 1-3. Originaltitel: "A Child Over the Nations". (Übersetzt von Manfred Haller)

Schriftlesung: Jeremia 1

Dieser Titel hat nichts zu tun mit der eingebildeten Vorstellung eines Jugendlichen von seiner eigenen Wichtigkeit, vielmehr mit dem puren Gegenteil von einer solchen Vorstellung: er zeigt an, wie Gott ein schwaches und unbedeutendes Instrument auswählt, durch welches er seinen eigenen Thron über die Nationen stellen konnte. Die Rolle, die Jeremia zugewiesen wurde, war eine geistliche, und Gott ist noch immer bestrebt, die Weltereignisse mit aufgrund von geistlichen Mitteln durch eine betende Gemeinde zu beeinflussen und zu regieren.

Jeremia hat in diesem Zusammenhang eine sehr reale Botschaft für uns. Wir können durch alle Männer Gottes, die in der Schrift beschrieben werden, Hilfe empfangen, denn sie stehen für geistliche Prinzipien, die nicht auf eine bestimmte Zeit begrenzt, sondern in ihrer Bedeutung ewig und in ihrem Wert dauerhaft sind. Doch wie mir scheint, findet Jeremia für die Zeit, in der wir leben, eine besondere Anwendung; und indem wir seine Geschichte studieren, können wir erkennen, wie er ein göttliches Instrument illustriert, das in sich selbst nichts ist, dass aber eine ungeheure Throneswirkung auf aktuelle Geschehnisse ausübt.

Josiah’s Passahfest

Eines der bedeutsamsten und wichtigsten Ereignisse zu seiner Zeit war die Wiederentdeckung des Gesetzbuches durch Hilkiah. Die erste Auswirkung dieser Entdeckung war, dass der König Josiah seine Reformen vorantrieb und eine große nationale Zusammenkunft einberief zur Feier des Passahfestes. Er selbst stand zum Wort Gottes, und das ganze Volk erklärte sich bereit, dasselbe zu tun. Jeremiah jedoch, ein Mann, der sich nie mit bloßen Äuserlichkeiten zufrieden geben konnte, hatte seine Vorbehalte; er glaubte nicht an die ehrliche Echtheit von all dem, was das Volk als Ganzes betraf. Und er hatte Recht.

Josiah selbst meinte es zweifellos ehrlich, er meinte alles, was er sagte, doch es scheint vollkommen klar zu sein, dass das Volk nicht mit ganzem Herzen hinter dieser Hingabe stand. Der Grund für Jeremiah’s Vorbehalte war das «Doch» von 2. Könige 23,26, was zeigt, dass das lange Abdriften von Gottes Anforderungen nicht durch einen bloßen, emotionalen Ausbruch, Erweckung genannt, revidiert werden, sondern dass etwas viel Radikaleres nötig war. So ließ sich Jeremiah nicht durch die gute und scheinbar ernsthafte Bewegung täuschen. Er besaß eine geistliche Wahrnehmung, die den äußeren Anschein durchschaute.

Eine solche Wahrnehmung kann schmerzhaft sein. Jeremiah stellte fest, dass sein Unterscheidungsvermögen ihm ständig Schwierigkeiten eintrug. Sein Vorbehalt gründete sich nicht auf einen temperamentsbedingten oder konstitutionellen Zynismus, so als wäre er einer jener negativen Leute mit ihrer kritischen und desturktiven Haltung, selbst gegenüber dem Besten, das es gab. Nein Jeremiah war geistlich viel zu empfindsam dazu, und er wäre nur zu froh gewesen, etwas zu finden, das wirklich eine Herzensänderung auf Gott hin dargestellt hätte. Er war ein im Herzen getroffener Mann, bereit, Tag und Nacht wegen der Missgeschicke des Volkes zu weinen (9,1). Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Äußern von kritischen Urteilen, einer zensurierenden Einstellung, einem unzufriedenen Geist, einem ständigen Fehler Anrechnen, und dem betrübten Herzen eines Mannes, der wirklich mit Gott leidet. Es ist leicht, Fehler und schwarze Flecken zu entdecken; zu kritisieren kostet nichts; aber es ist sehr schmerzhaft, mit den Augen Gottes zu sehen, und mit ihm Kummer zu ertragen um den Unterschied zwischen einem bloßen Bekenntnis und dem, was wirklich echt ist uns einem Sinn entspricht. Lasst mich sagen, dass kritische Leute für Gott nicht von Nutzen sind; er wird ihnen keine Salbung erteilen, denn sie bringen Tod, und nicht Leben, herein. Jeremiah repräsentiert einen vollständig anderen Geist. Sein leidender Dienst schien abzureißen und auszuwurzeln, aber er hatte auch ein positives Ergebnis des Bauens. All das wird durch den Bericht deutlich, der hier von seiner Berufung gegeben wird.

Jeremiah’s «Ich kann nicht»

Jeremiah’s unmittelbare uns spontane Reaktion auf seine Berufung und Beauftragung war: «Ah, Herr, mein Gott, ich kann nicht...». Das klingt vielleicht nicht sehr geistlich, denn in Tat und Wahrheit war Jeremiahs Gefühl der Unfähigkeit ein unerlässlicher Faktor bei seiner ganzen Berufung. Der Herr weiß, wen er mit Beschlag belegt und sendet, und wir können es sicher annehmen, dass, wäre Jeremiah ein Mann voller Vertrauen in sich selbst gewesen, Gott ihn nie berufen hätte. Dieses Gefühl persönlicher Schwäche und Leere ist für Gott entscheidend; das ist der Punkt, wo im Leben, das vom göttlichen Vorsatz gezeichnet ist, alles beginnt. Hätte der Herr ein paar kleine Dinge unrernommen, bruchstückhafte Dinge, hätte er vielleicht ein weniger leeres Gefäß benutzen können. Es gibt Leute, die voller Vertrauen in sich selbst in den Dienst Gottes treten, und in einem gewissen Maß werden sich auch von Gott gebraucht. Ihre Brauchbarkeit jedoch ist sehr begrenzt, es sei denn, sie realisieren, dass Gottes voller Vorsatz erfordert, dass das Werk ganz von Ihm stammt, so dass kein Raum bleibt für irgendwelche Hinlänglichkeit des Menschen. Die meisten von uns beginnen, bevor sie diese Lektion gelernt haben, aber sobald wir deutlicher ins Licht Gottes treten, geht uns auf, dass die Höhe des Wertes von Gottes Vorsatz in und durch uns der Tiefe unserer bewussten Abhängigkeit von ihm entsprechen wird. Es ist grundlegend, dass Gottes Diener sich seiner eigenen Schwachheit bewusst wird.

Hätte Paulus auf das Bekenntnis von Jeremiah: «Ich kann nicht reden...» antworten müssen, hätte er möglicherweise aufgezeigt, dass Gott für sein größtes Werk eben das Schwache und Törichte erwählt hat, das, was eigentlich «nichts» ist. Wäre er allerdings mit seinem eigenen Zeugnis weiter gefahren, hätte er zweifellos eine Erfahrung beschrieben, in dem ihn ein neues Bewusstsein seiner persönlichen Unzulänglichkeit vermittelt wurde, das ihn zwar abhängiger, aber nützlicher machte. «Wir waren sogar am Leben verzweifelt», war die negative Seite dieser Erfahrung, doch den positiven Wert fand er im Vorsatz, nämlich: «damit wir nicht auf uns selber vertrauten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt». Der Mensch, der am Nullpunkt angelangt ist, wird feststellen, dass Gott ihm genau an dem Punkt begegnet, denn dieses Prinzip einer bewussten persönlichen Unzulänglichkeit ist etwas, worauf Gott ständig seinen Nachdruck legt, und bei dem er sich alle Mühe macht, sie in uns festzusetzen, selbst mit dem Preis tiefen Leids auf unserer Seite. Obwohl eine solche Erklärung für einige schwer zu akzeptieren ist, kann sie sehr wohl für andere ein Trost sein, deren seltsame Prüfungen sie in Versuchung brachten, zu glauben, sie könnten nie mit Gott rechnen. Es ist stets die Art des Herrn, uns von aller Eigenstärke zu entleeren, damit wir mit seiner Kraft angetan werden können. Jeremiahs Berufung legt nahe, dass es stets ein «Kind» sein wird, das Gott über die Nationen setzen wird.

Gottes «Ich werde»

Gottes Antwort ist stets Auferstehungskraft. Jeremiah’s Wahrnehmungsgabe ließ ihn argwöhnisch werden hinsichtlich der Echtheit der Anhänglichkeit Gott gegenüber unter dem alten Bund, doch war sein Dienst weit davon entfernt, negativ zu sein, denn er war der erste, der die Herrlichkeiten des Neuen Bundes verkündete. Er mochte sich schwach und unbedeutend wie ein Kind vorkommen, doch er musste eine große Rolle im Stück der Geschichte des Volkes Gottes spielen, und tatsächlich war, nachdem die siebzig Jahre der Gefangenschaft zu Ende gegangen waren, erwies sich sein Dienst als ein Dienst der Wiederherstellung, denn «...damit das Wort des Herrn durch den Mund Jeremiah’s erfüllt würde, erweckte der Herr den Geist von Kyrus...» (Esra 1,1).

Hier also war die unmittelbare Antwort des Herrn auf die Schwierigkeit seines Dieners; er gab ihm einen Auftrag, der sich auf eine Vision gründete. «Was siehst du?» fragte er Jeremiah, und gab dem Prophet die Gelegenheit, vom Mandelbaum zu reden, der voll wunderhafter Bedeutung war. Aaron’s Mandelstab hatte in einer Nacht gesprosst, Blüten getrieben und Frucht hervorgebracht, und so wurde er zum Typus des Geistes der Auferstehung in der Priesterschaft. Alle andern Stäbe blieben tot, wie es auch mit Aaron’s Stab gewesen wäre, wäre ihm nicht ein wunderhaftes neues Leben geschenkt worden, und so wurde er zu einem Symbol von Christus, der sein Priestertum in der Kraft der Auferstehung erfüllte. Es war, als würde Gott Jeremiah erklären, dass sein Dienst nicht auf der Basis von dem, was er war oder nicht war, erfüllt werden würde; vielmehr würde das Werk fruchtbar sein aufgrund der Kraft des mächtigen Auferstehungslebens. So erwies es sich wieder und wieder. Es gab so viel Opposition, dass Jeremiah an einem ganz bestimmten Punkt beschloss, nicht mehr zu sprechen. Da musste er feststellen, dass in seinen Knochen ein Feuer – ein göttliches Feuer – brannte, das all seine fleischlichen Entschlüsse, zu schweigen, beiseite schob und ihn dazu drängte, aufs neue in der Kraft und im Sieg der Auferstehung zu sprechen. Wie wichtig ist es doch für uns alle, dieses Feuer in unseren Knochen zu haben!

Wiederum befand er sich in einem dunklen Verließ, das so schmutzig war, dass es ihn zu verschlingen drohte, und das hätte es ganz sicher getan, wäre nicht Gottes erbarmende Intervention durch Ebed-Melech dazwischen getreten. Manchmal schien es ihm, als wäre Gott ein mächtiger Mann, der nicht retten konnte, doch der Herr brachte nie Schande über den Thron seiner Herrlichkeit und Jeremiah wurde jedes Mal gerettet. Der Mandelbaum bedeutet, dass, was immer auch geschehen mag, Gott immer dafür sorgen wird, dass das Ende der Sieg durch Auferstehungskraft ist. So hat Jeremiah nicht nur überlebt, sondern wurde das Mittel, durch das ein Gott verherrlichender Überrest hervorging, der dem siebzigjährigen Grab in Babylon entstieg, um nach Jerusalem und zu seinem wahren Zeugnis zurückzukehren. Die Vision vom Mandelbaum war eine private Verheißung an Jeremiah: Die Erfüllung sollte von allen erkannt werden.

Die endgültige Zusicherung dieser Berufung lieferte die Garantie, dass Jeremiah ein gefeites Leben haben würde, bis er seine von Gott gegebene Aufgabe beendet konnte. Er starb keines gewaltsamen Todes; er musste nicht verhungern; er lebte solange, bis seine Aufgabe vollbracht war. Die Geschichte ist erstaunlich, denn er musste duch unbeschreibliche Kraftakte und Gefahren hindurch, es sah so aus, als hätte er alle bösen Mächte gegen sich. Er sollte Dutzende von Toden sterben, doch er überlebte jede Attacke und stand 42 gefährliche Jahre durch. Er bewies, was wir alle beweisen können, nämlich, dass Gebrechlichkeit und Unzulänglichkeit manchmal gerade die Qualifikationen sind für einen machtvollen geistlichen Dienst.

Das Amen des Glaubens

Anders als Daniel wurde Jeremiah nie von Menschen zum Herrscher gemacht. Er war natürlich ein Priester, und es war in Form des priesterlichen Dienst, dass er seine Autorität ausübte. Er diente nicht in Verbindung mit dem Tempel und seinen Opfern, sondern er diente am verborgenen Ort der Herzensgemeinschaft mit Gott. Dort, in diesem inneren Leben des Gebets, war es, dass er weinte über die Tragödie des blinden und störrischen Volkes (13,17); dort behielt er seine Vision von Gottes herrlichem, hohen und ewigen Thron lebendig (17,12); und dort fand er süße Träume, die kein leichtfertiger Optimismus waren, sondern substantielle Vorsätze Gottes (31,26). Selbst als er im Gefängnis eingeschlossen war, hielt er seine Gebetswache mit Gott aufrecht und fand frische Inspiration, um das Unmögliche zu erbitten und zu empfangen (33,3). Er herrschte durch Gebet.

So eindringlich und dauerhaft war das Gebetsleben dieses Mannes, dass es Zeiten gab, da Gott ihm selber sagen musste, er sollte innehalten (7,16; 11,14; 14,11). Die letzte dieser Referenzstellen scheint anzuzeigen, dass Gott Jeremiah nicht zum Schweigen bringen wollte, sondern dass er ihn lediglich davon abhalten wollte, um eine oberflächliche Verbesserung des Loses des Volkes und eine Rückkehr zur alten Ordnung zu bitten. Jeremiah verstand das, und konzentrierte seine Gebete auf die Zukunft, besonders auf den neuen Tag, da Israel selber von ganzem Herzen Gott suchen würde (29,14).

Obwohl Jeremiah ein solcher Mann des Gebets war, führte er kein Einsiedlerleben. Er legte furchtlos Zeugnis ab während er betete. Er schrieb Botschaften an die Gefangenen in Babylon und betete gleichzeitig für ihr Wohl. Er kaufte das Feld seines Neffen und besuchte das Haus des Töpfers. Er lebte ein aktives Leben, doch seinen Hauptbeitrag zu den laufenden Geschäften in seinen Tagen – und weit darüber hinaus – geschah durch seinen Dienst der Fürbitte. Er betete, bevor er sprach, und er betete auch danach. Wenn er seine geschäftlichen Angelegenheiten beendet hatte, kehrte er zum Gebet zurück (32,16).

Er herrschte für Gott. Seine Gebete hielten nicht nur eine Flamme der Hoffnung lebendig in einer Zeit, wo die Menschen am Verzweifeln waren, sondern zu gegebener Zeit baute er das Volk Gottes neu auf und pflanzte es im wiederhergestellten Jerusalem ein. Mehr als dies: sie umspannten die Jahrhunderte und inspirierten die hebräischen Christen, als ihre heilige Stadt aufs Neue zerstört wurde (Hebr. 8,10), und selbst heute noch inspirieren sie uns, so dass wir neu Notiz nehmen von den Herrlichkeiten des neuen Bundes, der sich von den toten religiösen Bräuchen abwendet zu einer lebendigen und persönlichen Erkenntnis Gottes durch den Heiligen Geist. Jeremiah’s Wahrnehmung des Unwirklichen hielt sich nicht beim Negativen auf, sondern führte zu diesem gesegneten Ausblick auf eine lebendige, geistliche Vereinigung mit Gott. Es mag phanastisch erscheinen, von einem Kind über den Nationen zu sprechen, aber war es nicht unserer Herr Jesus selbst, der gesagt hat: «Fürchte dich nicht, kleine Herde: denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben» (Lk. 12,32)? Jeremiah’s Geschichte mag uns helfen, etwas von dem zu verstehen, wie Gott mit uns arbeitet, so dass diese göttliche Absicht Wirklichkeit werden kann.


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