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Die Freisetzung des Herrn

von T. Austin-Sparks

Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Jul-Aug 1945, Vol. 23-4. Originaltitel: "The Release of the Lord" - Kapitel 7. (Übersetzt von Manfred Haller)

Dass die Erweiterung durch Einengung ein bleibendes Gesetz des Himmelreiches in diesem Zeitalter ist, ist ein wohl bekannte Wahrheit. Das hat Auswirkungen in verschiedener Hinsicht und es gibt zahlreiche Beispiele. Eine der oft unerkannten Begleiterscheinungen ist die, dass Versuche zur Erweiterung in einem wirklich geistlichen Bereich zu einer künstlichen Aufblähung führen, mit all ihrer Schwäche, Unbefriedigtheit und Instabilität all dessen, was geistlich nicht echt ist. Echte Entwicklung ist nicht das Werk des Menschen, seines Erfindungsreichtums, Scharfsinns, seiner Effizienz, seiner Ressourcen, seiner Unternehmungen, seiner Schlauheit oder seines Enthusiasmus. Das eigentliche Gesetz, von dem wir sprechen, bezieht seine Kraft und Rechtfertigung aus der Tatsache, dass Gott bei Null beginnt. Wenn menschlich gesehen keine Hoffnung mehr übrig bleibt, und erkannt wurde, dass nur Gott noch das Notwendige tun könnte, hat es sich oft gezeigt, dass dies genau die Situation war, um die er sich bemüht hatte, sie zustande zu bringen.

«Er hängt die Erde über dem Nichts auf» (Hiob 26,7) ist ein bleibendes Prinzip vom Standpunkt des natürlichen Menschen aus. Es ist stets etwas Heilsames, wenn die Diener des Herrn ihre Augen über die Schrift schweifen lassen und sich an die Nullpunkte des Menschen und an das Eingreifen Gottes an diesem Punkt erinnern. Ein solcher Überblick muss stets zu der Einsicht führen, dass Gott zu allen Zeiten in der Form des Kreuzes spricht, und dass dort - umfassend und für immer - das göttliche Gesetz errichtet wurde, dass «das Fleisch nichts nützt»; dass der «natürliche Mensch» in den Dingen Gottes nichts vermag; dass die Spezies und das Geschlecht des ersten Adam aufgerieben und erledigt wurde. Das ist die umfassende «Erster- Adam-Null», und an diesem Punkt wurde eine vollständig neue Ordnung eingeführt; und diese besteht darin, dass Gott persönlich darin residiert und durch seinen Geist vorherrscht. Darum ist für alle göttlichen Vorsätze eine neue Schöpfung die unentbehrliche Voraussetzung, also ein «letzter Adam» sowohl in persönlicher als auch in gemeinschaftlicher Hinsicht.

Sicher ist es berechtigt, eine Untersuchung anzustellen, um herauszufinden, ob die oben genannte Qualifikation die eine überragende Überlegung bei allen Wahlen und Berufung im Dienst Gottes ist.

Welches war in unseren Missionsvorständen und -direktorien die Basis der Mitgliedschaft? War es das missionarische Interesse auf der Seite christlicher Männer, plus Geschäftsfähigkeiten, finanzieller Ressourcen, einflussreicher Kreise, eines Namens, der Vertrauen verdient? Geschah es in unseren Kirchenräten und Komitees aufgrund von öffentlichen Abstimmungen, die von einer oder mehrerer menschlichen Überlegungen beherrscht waren? Herrschte bei unseren Methoden der Gedanke vor, dass eine effiziente Organisation, Maschinerie, Betriebsführung, «Interes-sen» das Ziel sicherstellen würden?

Oder war es ehrlich und wahrhaftig so, dass - wenn man allen andern Dingen den zweiten Platz einräumt - der Herr zu allererst solche benötigt, die, voll Heiligen Geistes und Glaubens, vor allem wissen, was «Gebet und Fasten» ist? Wenn bei der einfachen und freien Methode der ersten Tage der Geist sagte: «Sondert mir Barnabas und Saulus zu dem Werke aus, zu dem ich sie berufen haben», so ist es etwas Segensreiches zu realisieren, dass dies nicht zu Leuten gesagt wurde, die in vergleichsweiser Ruhe und im Wohlstand gelebt haben, oder deren gelegentliches oder zweites Geschäft es war, diesen Dingen zu frönen, sondern zu solchen, die dem Herrn «dienten und fasteten», d.h. die in ihrer Erfahrung die großen geistlichen Kosten teilten, die auf jene fallen würden, die ausgesandt wurden. Es ist so leicht, Instruktionen auszugeben, Befehle zu erteilen, Pläne zu schmieden, Leben zu manipulieren, Entscheidungen veranlassen, wenn diese nicht unmittelbar jene Leute betreffen, die die geistlichen Kosten, die Mühsal und den Konflikt auf sich nehmen. Wir meinen, dass keiner in eine solche Position gehoben werden dürfte, der in den Kosten und dem Opfer nicht so weit gegangen ist, und der nicht ebenso völlig hingegeben ist mit allem was er hat, wie diejenigen, die «für seinen Namen» ausziehen. Die Wege des Herrn sind ausgeglichen, und jede Ungleichheit ist Ungerechtigkeit, und die Hände des Segens. Der Heilige Geist ist nur insoweit frei, die Initiative zu ergreifen, als die heiligen Bestandteile dieses Namens das Fundament von Vorsatz, Vorgehen, Methoden, Mittel, Motiven und dem Leben derer ist, die mit den Heiligen Dingen in Verbindung stehen. Das ist reichlich in der ganzen Schrift festgelegt. Manchmal wird dieses göttliche Prinzip demonstriert durch die Reaktion auf dessen Übertretung, indem das Gericht losbricht; manchmal durch Rückschläge und Niederlagen; manchmal durch Stagnation und Stillstand; manchmal auch durch Abtreibungen und Fehlgeburten unserer Bemühungen.

Im Neuen Testament können wir nichts finden, das der späteren, modernen Missionsgesellschaft entspricht. Damals war die Gemeinde ein Organismus, der, schon durch die Natur seiner Lebensenergie reproduktiv war. Denn es ist ein wesensmäßiges und angeborenes Charakteristikum des Lebens, dass es reproduziert. Was nichts hervorbringt (bzw. nichts reproduziert), ist ein Ziel in sich selbst. Aber es besteht ein riesengroßer Unterschied zwischen der Reproduktion aufgrund von Leben und der Multiplikation durch Nachahmung oder auch Massen- bzw. Serienproduktion. Die Absicht des Herrn war es, dass alles gemeindemäßig, nicht Gesellschaft-, organisations- oder missionsmäßig zuging.

Die Gemeinde degenerierte, und viele Jahre lang hörte sie fast auf, ein weltweiter reproduzierender Organismus zu sein. Nur in sehr begrenztem Maß und in entfernten Gegenden funktionierte noch eine reproduzierende Lebendigkeit. Dann aber kam die missionarische Renaissance, und weil die Gemeinde sowohl nicht mehr in Ordnung und nicht mehr in ihrer ursprünglichen Position war, segnete und benutzte der Herr das zweitrangige Mittel der «Mission». In der Tat hat er dieses Mittel gebraucht und gesegnet, und er hat durch es der Gemeinde ihre Verantwortung wieder bewusst gemacht. Aber auch wenn wir diesem Mittel alle positiven Attribute verleihen, die ihm zustehen, und das sind nicht wenige, müssen wir dennoch erkennen, dass es ernsthafte Einschränkungen gebracht hat und dass es auf lange Sicht für die Niederlagen seiner eigenen Ziele verantwortlich ist. Es ist heute eine offene Frage, ob es in Ländern wie Indien, China, etc. eine Zukunft gibt für professionelle und organisierte Missionstätigkeit. Die Tage, da man eine systematisierte christliche Missionstätigkeit von einem Land in ein anderes überträgt, mögen sehr wohl gezählt sein. Tatsächlich wissen wir konkret, dass es in solchen Ländern eine Bewegung gibt, die professionelle Missionstätigkeit und missionarische Mitarbeiter hinauswerfen und ausschließen möchte. Der Tag kommt, wenn er nicht schon gedämmert hat, wenn es nur mittels Leuten, die als ein VOLK leben - als ein LEBENDIGES VOLK - mit einer Leidenschaft für Christus unter diesen Nationen möglich sein wird, dass auf geistliche Weise Reproduktion stattfinden wird. Das würde an sich nichts anderes bedeuten, als dass wir zur ursprünglichen Position zurückkehren würden.

Doch sprachen wir von der Gemeinde. Es begann in Jerusalem, und während seine repräsentativen Glieder hinauszogen und bewusst an anderen Orten predigten, müssen bestimmte Gesichtspunkte beachtet werden. Die Zerstreuung der Gläubigen (hauptsächlich durch die Verfolgung - einer göttlichen Vorsorge) bahnte den Weg für die Reproduktion der Gemeinde in dem, was «die spontane Verbreitung der Gemeinde» (Roland Allen) genannt wurde. Es war das Ausströmen von Leben, nicht das ins Auge Fassen eines Plans, einer Bewegung, eines Unternehmens, etc. Noch war es ein Missionskomitee in der Gemeinde, oder ein Rat, ein Gremium, etc. unabhängig von der örtlichen Gemeinde. Als die Gemeinden sich vermehrten, wurde ihrerseits jede einzelne von ihnen ein direktes, evangelisierendes Instrument, so dass Paulus von denen, die bei ihm waren, so sprechen konnte: «unsere Brüder aber sind Gesandte der Gemeinden, eine Ehre für Christus» (2. Kor. 8,23). Diese Tatsache konnte noch nicht widerlegt werden, dass dort, wo die größte Annäherung an die ursprüngliche Basis erreicht wurde, die größte Ausdehnung und die am besten unterrichteten und geistlich stärksten Gemeinden entstanden.

Tatsache ist, dass Gott, auch wenn er wegen des Versagens der Gemeinde ein zweitrangiges Mittel einsetzte und benutzte, nie seinen ursprünglichen und ersten Gedanken aufgegeben hat, und mit diesem Gedanken hat er unwiderruflich und untrennbar die geistliche Fülle verbunden. Alle anderen und geringeren Wege greifen zu kurz, und nach einem bestimmten Punkt stellt man fest, dass das Werk und seine Resultate von geistlicher Begrenzung charakterisiert wird. Viele andere Dinge zeigen auch, dass nicht alles gut sein kann. Wir können vielleicht all dies am besten dadurch erklären, dass wir uns den Grund ansehen, «gemeindeweise» Gottes ursprünglicher und höchster Weg ist.

Jedermann wird dem beipflichten, dass in der Absicht Gottes alles seinem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, zusteht. «Denn es gefiel Gott, in ihm alle Fülle wohnen zu lassen» (Kol. 1,19). «Alles ... zusammenzufassen in Christus» (Eph. 1,10). «Damit er in allem der Erste sein» (Kol. 1,18). Wenn Gottes Ziel erreicht sein wird, wird Christus alles in allen sein und «alle Dinge erfüllen».

Doch, auch wenn Christus seine eigene, individuelle Identität behält, hat er doch die Gemeinde, die sein Leib ist, in einer organischen Einheit mit sich selbst verbunden. Wie die Persönlichkeit im physischen Körper verborgen ist und diesem Körper seinen wahren, unverkennbaren Charakter verleiht, und die Persönlichkeit seines Wesens den zwar mystischen, doch realen Wert darstellt, so ist Christus mit der Gemeinde verbunden ist ist ihre eigentliche Identität. Dieser Gemeinde-Leib wurde «wurde vor Grundlegung der Welt in ihm erwählt» (Eph. 1,4). Sie wurde «auser-wählt gemäß dem Vorauswissen Gottes, des Vaters» (1. Petr. 1,2). Für SIE hat er sich selbst hingegeben (Eph. 5,25-26). Gott kaufte sie mit seinem eigenen Blut (Apg. 20,28). Sie ist «die Fülle (Ergänzung) dessen, der alles in allen erfüllt» (Eph. 1,23).

So werden wir veranlasst, zu erkennen, dass Gottes Interesse an seinem Sohn leibmäßig und darum von gemeinschaftlicher Natur ist. Er sandte Saul von Tarsus nach Damaskus, um die Antwort auf seine Suche durch die Gemeinde zu erhalten. Später ratifizierte er sein Apostolat und sandte ihn in und durch die Gemeinde dorthin. Die Handauflegung bei beiden Ereignissen war ein Akt der Identifikation mit dem Leib; zuerst in Einheit, dann, an zweiter Stelle, im Dienst. Nichts war in jenen Tagen persönlich, unabhängig, oder losgelöst von der Gemeinde. Alles geschah auf der Grundlage des Leibes.

Das elimierte persönliche Autorität als solche. Dies zeigte, dass der Heilige Geist stets bereit war, zu urteilen, zu lenken und mit Kraft auszurüsten. Älteste waren bloß repräsentative Glieder des Leibes. Sie waren keine Beamten oder kirchliche Funktionäre. Ihnen oblag eine geistliche Funktion, für die sie «voll Heiligen Geistes» sein mussten. Dieses «Leib-»bewusstsein war eine große Realität und bedeutete eine ganze Menge in jeder Hinsicht. In ernsthaften Krisen - physischen, umständemäßigen, geistlichen, und zeitbedingten - bedeutete es, dass in der Gemeinde ein Bedürfnis registriert und dann dafür gebetet wurde. Die Betroffenen erkannten, dass die Krisen auf triumphierende Weise bewältigt und beendet werden konnten durch die Kooperation der Gemeinde.

Evangelisation war nicht bloß die Errettung so und so vieler Individuen oder die Einrichtung so und so vieler Gemeinden. Sie war die Zunahme des Maßes, in welchem Christus in dieser Welt gegenwärtig war und ist. Sie war «der Aufbau des Leibes Christi» - «seine Ergänzung (Fülle)». Weil die Dinge vorwiegend etwas in sich selbst waren - Evangelisation, Seelengewinnen, Gemeindebau, Lehre, etc. - darum gibt es so viel Begrenzung, und darum ist nach so vielen Jahrhunderten die Welt so wenig berührt und sind die Christen so unbefriedigend.

WIR SIND ÜBERZEUGT, DASS EINE NEUE, HIMMLISCHE WAHRNEHMUNG VON DER GEMEINDE ALS LEIB CHRISTI, MIT ALLEM, WAS DAS IN SICH SCHLIEßT UND ERFORDERT, IN DER OFFENBARUNG UND KRAFT DES HEILIGEN GEISTES, ABSOLUT ENTSCHEIDEND IST FÜR DIE LÖSUNG DER ZUNEHMEND EMPFUNDENEN NOT IM GEISTLICHEN LEBEN DER CHRISTEN.

Das missionarische Problem, und viele andere Probleme ebenso, können nur auf diese Weise gelöst werden; aber sie können und werden auf diese Weise gelöst werden.

Es wird sehr viel Gebet für Erweckung aufgewendet und Appelle werden eindringlich geäußert. Es wird gesagt und auch geglaubt, dass, wenn eine mächtige Ausgießung des Heiligen Geistes über die Gläubigen stattfinden würde, würden alle unsere Schwierigkeiten überwunden, alle unsere Mängel und unser Zukurzkommen zum Guten gewendet, unsere Fehler transzendiert, usw. Es wird auf solche Ereignisse in der Vergangenheit hingewiesen und daraus werden Schlussfolgerungen und andere Rückschlüsse gezogen. Es liegt uns ferne, die Wahrheit dieser Dinge zu leugnen, soweit es die aktuelle Zeitdauer ihres Geschehens betrifft, doch haben wir das Gefühl, dass eine zu oberflächliche Ableitung oder Schlussfolgerung dazu führt, dass das, wonach Gott wirklich trachtet, aufgeschoben oder gar verhindert wird.

Was man gewöhnlich Erweckung zu nennen pflegt, waren, der göttlichen Absicht und ihrem eigentlichen Wesen nach, Reformationen. Die hohen Wogen geistlichen Lebens hatten unweigerlich den Effekt, dass sie viele der Dinge lächerlich machten, auf welche die Kirche stolz war, dass viele Dinge kindisch erschienen, die früher als entscheidend angesehen wurden, dass vieles ausgemustert wurde, was bisher bestimmend war, und dass ganz allgemein das akzeptierte und fest etablierte System der Dinge über den Haufen geworfen wurde. Barrieren wurden aufgehoben; zweitrangige Dinge wurden von den erstrangigen Stellen entfernt. Tatsächlich wurde der ganze Einschätzungsstandard verändert und auf den Kopf gestellt. Das trifft nicht nur auf große Erweckungszeiten zu, sondern auch auf Zeiten, da das Volk Gottes jeglicher Verbindungen und jeglicher Couleur sich auf rein geistlicher Grundlage versammelt hat, wie zum Beispiel bei großen Konferenzen.

Nun, der Punkt, um den es geht, ist folgender. Wenn der Heilige Geist auf diese Weise die Kennzeichen des christlichen Systems entweder ignoriert oder transzendiert, und es so aussehen lässt, als zähle es äußerst wenig (und der Heilige Geist schließt niemals Kompromisse mit dem, was entscheidend und wirklich von Gott ist), heißt das dann nicht, dass er nach einer Neubeurteilung von sehr vielem, was heute existiert, ruft? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dies auszudrücken. Zum Beispiel: Je näher das Christentum der Erde und dem zeitlichen Leben gekommen ist, einen desto größeren und weiträumigeren Platz haben Dinge wie das Ritual bekommen... Formalität und ähnliche Äußerlichkeiten waren stets das Kennzeichen für niedrige und armselige geistliche Zustände, und das Maß an Wichtigkeit, das ihnen zugemessen wird, war schon immer ein Index für geistliches Maß. Andererseits war ein tiefer, starker, reiner geistlicher Zustand stets von Einfachheit gekennzeichnet. Die Geschichte beweist dies ohne jeden Zweifel, und Wogen des Geistes sind hervorragende Beweise dafür. Eines ist offensichtlich: In solchen Zeiten erweckt und stimuliert der Heilige Geist nicht diese religiösen DINGE; im Gegenteil, er bewertet sie weitgehend negativ. Wird es da für uns denn nicht notwendig, die Wirkung einer Bewegung des Heiligen Geistes zu erkennen und Notiz davon zu nehmen, und ruft der Herr nicht durch sein Wirken nach einer Korrektur in dieser Angelegenheit?

Unser momentaner Punkt ist der, dass wir in echten geistlichen Bewegungen sehr viele Beweise durch den Heiligen Geist vorfinden, dass er diese ganze Sache, wie sie heute existiert, gewogen und als etwas abgeschrieben hat, das nicht nur unwichtig, sondern ganz entschieden hinderlich und einengend ist. Wir können auf beide Arten argumentieren. Um von geringeren Dingen wegzukommen, brauchen wir eine mächtige Heimsuchung des Geistes Gottes; dies, einzig dies, wird es bewirken. Die meisten Leute stimmen dem zu, und wir haben vieles in dieser Richtung gehört. Was uns aber stets verwirrt hat, ist die Tatsache, dass, auch wenn Dinge dieser Art so wiederholt und betont gesagt wurden, der ganzen Sache nie mit genügendem Nachdruck irgendwelche Bedeutung beigemessen wurde, so dass sie zu praktischen Korrekturen geführt hätte. Wenn wir uns aber andererseits den Dingen, die der Heilige Geist wieder und wieder ausgemustert hat, sofern er einen Weg finden konnte, ernsthaft gestellt hätten, wäre dann nicht der Weg offen für ein dauerhafteres, hohes, Niveau geistlichen Lebens, geistlicher Fülle und Wirksamkeit?

Ist Reformation nicht ein wesentlicher Teil einer Erweckung? Verlangt der Herr nicht bestimmte drastische Korrekturen, bevor er die «Fenster des Himmels» öffnen kann? Sind wir imstande, dem beizupflichten, dass, was jetzt notwendig ist, nicht so sehr eine «Heimsuchung» Gottes in Form einer vorübergehenden Erweckungswelle ist, sondern eine Reformation, die ein neues Niveau von Leben zumindest für eine lange Zeit in der Zukunft möglich macht?

BESTEHT JETZT DIE NOTWENDIGKEIT FÜR EINE NEUE REFORMATION?

Wenn ja, welches ist die Natur einer solchen Reformation?

1. Das Christentum ist weitgehend zu einem kristallisierten und fixen System von Lehrmeinungen geworden. Diese Lehrmeinungen betreffen die Gottheit Christi, seinen sühnenden Tod, seine leibliche Auferstehung, seine Himmelfahrt und Erhöhung, und, mit einigen Varianten, was die Zeit und die Art und Weise betrifft, seine persönliche Wiederkunft; die Person des Heiligen Geistes; die Inspiration und Autorität der Bibel, etc. Diese Dinge sind berechtigterweise und wahrhaftig grundlegend und bestimmend, und müssen in Reinheit und Fülle aufrecht erhalten werden. Und doch, auch wenn wir all das, was zu ihren Gunsten gesagt werden konnte und sollte, vorgebracht haben, sind wir noch weit davon entfernt, das Problem des geistlichen Lebens und der Kraft der Gemeinde gelöst zu haben. Orthodoxie und «Gesundheit» das Kennzeichen geistlichen Lebens. Tatsächlich kann der «Fundamentalismus» als solcher so kalt, hart, grausam, bitter, tot und hässlich sein wie die Inquisition, und oft ist er das. Seine Waffen sind oft völlig fleischlich, und er hat keine Hemmungen, physische Kraft anzuwenden. Das mag seine extreme Form sein, doch selbst dort, wo diese Wahrheiten ohne diese besonderen Begleiterscheinungen vertreten werden, herrscht öfter als nicht ein strenger Legalismus, der zu Härte, Misstrauen, Vorurteilen und einer ausschließenden Gesinnung führt. Viele Trennungen waren nicht das Resultat eines treuen Einstehens für die Wahrheit, sondern eines Pochens auf einen bestimmten Aspekt einer besonderen Wahrheit - also einer Haarspalterei. Die Lehren des Christentums sind zu etwas in sich selbst geworden, und weil dies so ist, haben eine Heerschar von unglücklichen, unheiligen und unnötigen Elementen eine starke Position im Christentum gewonnen. Das Christentum wird nicht notwendigerweise und unweigerlich dann eingeführt, wenn die Summe ihrer Lehrsätze und Anschauungen verkündet und ihr beigepflichtet wird. Hier mag eher «der Buchstabe töten» als lebendig machen.

2. Das evangelikale Christentum ist zu einem System von Denominationen, Sekten und sich von einander unterscheidenden Organisationen geworden. Um fair und gerecht zu sein, müssen wir daran erinnern, dass viele von ihnen einen ehrbaren Anfang gehabt haben. Was die Denominationen betrifft, so war es in nicht wenigen Fällen ein bewusstes Einstehen für bestimmte Lehren, Lehrmeinungen oder Ausdrucksformen, das sie sehr viel gekostet hat, das ihnen zum Dasein verhalf. Und so war es bei vielen andern Institutionen, Bewegungen, Missionsgesellschaften und Organisationen; irgend eine Abweichung von der Wahrheit, oder irgend ein Versagen hinsichtlich der Verantwortung, der Verbindlichkeit oder des Vorsatzes, denen das Christentum verpflichtet ist, führte zur Entstehung dieser spezifischen und unterschiedlichen Aktivitäten. Es ist keine kleine Geschichte der Hingabe, des Heldentums, des Opfers und Dienstes. Diese Geschichte könnte eine Bibliothek füllen. Aber wir nehmen nichts davon. Das ist nicht unser Gegenstand. Was wir sagen wollen, ist dies, dass viele dieser Dinge heute zu etwas in sich selbst geworden sind, und deren ZIEL oft in ihnen selbst liegt. Es ist das DING, an das so viele gebunden sind. Und hier wiederum haben all die unglücklichen Elemente, Rivalitäten, Eifersüchteleien, Kompetenzstreitigkeiten, Misstrauensvoten und so weiter ihren Anlass. Die Wirkung von all dem ist die, dass dieses organisierte Christentum zum Feind des Christentums wird und zu einer Bedrohung für das echte Werk des Geistes Gottes.

3. Ein Übel lässt sich schon im Leben der frühen Gemeinde wahrnehmen. Es ging der Natur nach darum, einer Seite oder Richtung des christlichen Interesses zum Vorrang zu verhelfen; und andererseits natürlich um das Misstrauen oder die Reserviertheit allem gegenüber, was diesen Vorrang nicht anerkannte. Zum Beispiel bestand ein starker Hang zum Judentum in der Gemeinde und die Tendenz, der Verkündigung des Evangeliums an die Juden den Vorrang zu geben. Als die Heiden vermehrt ins Blickfeld traten, wurde diese Reserviertheit und dieses Misstrauen fast fühlbar, selbst zwischen Aposteln. Der Heilige Geist, der damals glücklicherweise einen ausreichenden Platz und Weg hatte, war imstande, dieses gefährliche Wegstück zu meistern und die Gemeinde zu ihrer Einheit zurückzuführen. Doch die Tendenz blieb bestehen, und durch das Herabschrauben und Abnehmen des geistlichen Lebens wurde die Gefahr letztlich zur konkreten Tatsache, und diese setzte sich zudem fest. Die Evangelisation der Unerretteten wurde zu etwas für sich selbst, und oft bleibt es dabei. Häufig besteht keine Vision darüber hinaus. Und wenn es Christen gibt, die nicht ausschließlich oder vorwiegend mit evangelistischer Arbeit beschäftigt sind, werden sie oft mit Misstrauen und Reserviertheit betrachtet, wenn nicht noch mit Schlimmerem. Häufig hat der Evangelist keinen Platz und kein Interesse für etwas, das über das Werk der Seelenrettung hinausgeht.

«Der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an...» fasst ziemlich genau den vorherrschenden Standard von so vielem im heutigen Christentum zusammen. «Der Mensch blickt auf das Äußere». Es geht darum, wie die Dinge scheinen und wie sie ansprechen; wie beeindruckend die Dinge sind und welches Gewicht ihnen beigemessen wird; wie attraktiv die Dinge sind und wie viel Unterstützung sie garantieren; wie erfolgversprechend und einflussreich sie sind. In dieser Richtung ist viel Platz vorhanden für für all die Publizität, den Kommerzialismus, das Kompetenzgehabe, die Prahlerei und Zurschaustellung und für vieles mehr, was uns inzwischen in der christlichen Arbeit so vertraut geworden ist. Es ist traurig, mit anzusehen, wie vieles die Gemeinde unbedingt haben MUSS, wenn ihr geistliches Leben einen sehr niedrigen Stand hat. Und es ist erfreulich, zu beachten, wie wenig nötig ist, und wie viele Dinge gar nicht vorhanden sind, wenn das geistliche Leben ein hohes Niveau hat.

Welches ist die Natur der notwendigen Reformation? In einem Satz: Es ist all das, was mit einer neuen und (alles) beherrschenden Vorstellung von Gottes Vorsätzen, Gottes Ziel und Gottes Methode verbunden ist. Wenn wir fragen, was das denn ist, dann lautet die Antwort: ein MENSCH! Wir werden durch die volle Offenbarung der Schrift in die göttlichen Ratschlüsse vor ewigen Zeiten zurückgeholt. Und dort wird uns das Ergebnis zu sehen erlaubt, dass dieses Universum letzten Endes sein Zentrum in einem Menschen haben und von einem Menschen beherrscht werden wird. Doch nicht einfach in Form eines Amtes, gleichsam durch Erwählung, Auswahl, willkürlicher Einsetzung. Der Entschluss wurde vom Charakter, vom Typus, von der Natur her bestimmt. Es würde eine bestimmte Art von Mensch sein. Er würde alle göttlichen Gesichtspunkte verkörpern, sie manifestieren, und alle Werte durch diesen einzigen Standard bestimmen. Dieser Mann würde schließlich alle Dinge in sich selbst versammeln und zusammenfassen, und zwar auf der Grundlage seiner Natur. Auch würde er «alle Dinge» auf dieselbe Weise erfüllen. Gott würde also sein Ziel nicht durch eine Institution, Organisation, Bewegung, durch irgend eine Struktur erreichen, sondern durch ein organisches Wesen. Was die Gemeinde vor allen andern Dinge nötig hat, entweder eine neue und mächtige Wahrnehmung von der Bedeutung Christi in Gottes Universum zu haben oder zum empfangen. Alles hängt davon ab, wie wir ihn wahrnehmen.

Doch, auch wenn wir dies gesagt haben, so haben wir noch nicht alles gesagt. Die vollere und weitere Offenbarung der Schrift zeigt, dass in denselben ewigen göttlichen Ratschlüssen die Fülle und Vollständigkeit dieses Menschen auf eine gemeinschaftliche Weise realisiert werden würde, so dass schließlich Gottes Universum sein Zentrum in dem «einen neuen Menschen» finden würde; universell und unzählbar, und doch eins und individuell in dem Sinne, dass er in allen wohnt, und er eins und UNTEILBAR ist. Diese gemeinschaftliche Entität, genannt «sein Leib», war «vorausbestimmt, dem Bilde seines (Gottes) Sohnes gleichgestaltet zu werden, damit er der Erstgeborene unter vielen Brüdern sein sollte» (Röm. 8,29). Dies stellt Gottes Ziel vor, und zeigt seine Methode. Das göttliche Ziel ist NICHT eine Institution, eine Religion, ein Dogma, eine Bruderschaft, eine Organisation, ein Lehrsystem, ein Bündel von Werken und Aktivitäten. Es ist ein geistlicher Mensch, ein organischer, geistlicher Leib.

Nun, um zu einem Ergebnis von all dem zu kommen, was wir festgestellt und angedeutet haben, worauf läuft das alles hinaus? Schlicht darauf: Wenn Christus in seiner persönlichen Bedeutung und in seiner gemeinschaftlichen Ausdrucksform in den Augen und im Herzen der Gemeinde wirklich vorherrschend und überwältigend gegenwärtig wäre, würden einerseits zahlreiche Dinge, die jetzt die Gemeinde eingrenzen, behindern, aufhalten, schwächen und besiegen, wegfallen und einfach aufhören, noch irgend welchen Raum zum Herrschen zu finden; andererseits hätten wir die Wirkungen, wenn nicht sogar das Ereignis von «Pfingsten», d.h. Leben, Kraft Sieg, Fülle und große Freude mit echter Fruchtbarkeit. Was wir brauchen, ich wiederhole, ist nicht das vorübergehende Ereignis von «Pfingsten», sondern die bleibenden Wirkungen; nicht nur Erweckung, sondern Reformation.

Wann immer, und wo immer der Herr dadurch, dass er sich, seinen Vorsatz und seine Methoden aufs neue offenbarte, solche gewinnen konnte, die auf der Grundlage von Christus ALLEIN und in Fülle ausgezogen sind, sahen sich diese stets einem großen und schmerzvollen Preis gegenüber. Gewöhnlich waren es die eigenen Brüder in Christus, die diesen Preis forderten. Gemeine Vorwürfe, sie würden «eine neue Sekte gründen», sie wollten sich nur «einen Namen machen»; sie würden «das Volk Gottes trennen»; sie würden «extrem»; sie glaubten, «sie allein hätten Recht», etc. wurden ihnen angedichtet, und so wurden sie zu «Ausgestoßenen». Die Wahrheit aber in vielen Fällen ist die, dass sie bloß den Grund eingenommen haben, von dem jeder weiß, dass er der Grund geistlicher Fülle ist; ein Grund, auf dem Fragen wie die nach der «Gemeinde-Verbindung» und - Ordnungen etc. nie gestellt werden, wo Dinge wie irgend etwas beizutreten oder mit einer besonderen Lehre oder Praxis konform zu gehen nie auch nur erwähnt wird, sondern wo «Christus alles und in allen» ist; und wo es nur die eine Sorge gibt, dass er das bekommt, was seine Grundlage und sein Weg zu ständigem Wachstum ist.

Wie schwierig ist es doch für das organisierte Christentum, zu glauben, dass irgend etwas, das von echtem Wert ist, ohne Maschinerie, Publizität und all das Rahmenwerk organisierter Arbeit zustande kommen könnte! Wäre es nicht gut, innezuhalten und zu überlegen, ob Gottes machtvollste und fruchtbarste Werke sowohl in Natur als auch Gnade nicht vielleicht verborgen, im Stillen, unaufdringlich und in vielen Fällen geschehen, bevor irgend jemand davon Notiz nimmt? Wie ist es mit der Auferstehung der Natur in jedem Frühling? Das Gesetz von Gottes höchstem Werk ist das biologische - das Gesetz des Lebens; und das ist organisch.


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