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Prophetischer Dienst

von T. Austin-Sparks

Kapitel 4 - Eine Vision, Die Zur Berufung Führt

«Denn die, welche in Jerusalem wohnen, und ihre Obersten haben diesen nicht erkannt und haben die Stimmen der Propheten, die an jedem Sabbat gelesen werden, durch ihren Urteilsspruch erfüllt» (Apg. 13,27)

Wir haben am Anfang des vorausgehenden Kapitels dargelegt, dass die obige Feststellung andeutet, dass es etwas mehr zu hören gibt als das bloß hörbare Lesen des Wortes Gottes. «Die Stimmen der Propheten». Was hatten die Propheten gesagt? - nicht, welches waren die exakten Worte, die die Propheten benutzten, die Sätze und Wendungen, die Form ihrer Äußerungen, wohin führte es letztlich? Jene Bewohner und Obersten von Jerusalem hätten die Propheten ohne Schwierigkeiten zitieren können; möglicherweise konnten sie den Inhalt aller Prophetenbücher rezitieren. Sie waren, was den Inhalt der alttestamentlichen Schriften betrifft, gut eingeübt, doch hielten sie nie inne und stellten sich die einfache Frage: «Worauf läuft das hinaus? Was für Folgen ergeben sich daraus? Wonach trachteten diese Männer?» Und weil sie dies nie taten, kamen sie nie über den Buchstaben hinaus.

Die Berufung verfehlt, weil die Vision
verloren gegangen war

Wir stellen diese Fragen gerade jetzt. Was ist es denn, das in und hinter den, und tiefer als die geschriebenen Äußerungen der Propheten liegt? Wir wissen, dass die Propheten mit einer Situation zu tun hatten, die in keiner Weise den Sinn des Herrn hinsichtlich seines Volkes repräsentierte. Ich könnte noch stärkere Worte brauchen und sagen, die Situation sei weit entfernt gewesen vom Gedanken des Herrn, doch habe ich gegenwärtige Verhältnisse im Sinn, und nicht irgendwelche extremen Zustände, und so sage ich schlicht, hätten sowohl damals wie heute nicht wirklich die Absicht und den Sinn des Herrn repräsentiert, soweit es sein Volk betraf und heute betrifft. Die Propheten hatten es mit einer solchen Situation zu tun, und weil es so war, wurde die eigentliche Berufung des Volkes Gottes nicht erfüllt. Sie versagten in dem, wozu der Herr sie eigentlich ins Dasein gerufen hatte. Während sie ein Volk von gewaltiger geistlicher Stärke inmitten der Nationen hätten sein sollen, mit einer echten Wirkung Gottes auf die Nationen, mit einem Ton großer Autorität, die zur Kenntnis genommen werden muss - «So spricht der Herr» - auf eine Weise deklariert, dass die Leute wirklich aufmerken mussten - so hätte es zumindest sein sollen, doch versagten sie. Da war nichts als Schwachheit und Versagen. Die Propheten versuchten, an die Wurzel dieser Situation zu gelangen, hinter diesen beklagenswerten Zustand und dieses tragische Versagen zu kommen. Aber um dahin zu gelangen, mussten sie sich natürlich einen Weg durch eine Menge konkreter Faktoren in diesem Zustand hindurch erarbeiten. Da waren all die Dinge, auf die sich die Propheten bezogen - Sünden usw.; doch waren die Propheten in einer ganz besonderen Sache fest wie ein Mann, dass nämlich hinter diesem Zustand, der zu dem hauptsächlichen Versagen führte, als Ursache die verlorene Vision zu orten war. Das Volk hatte seine ursprüngliche Vision verloren, die Vision, die sie einst so klar vor Augen hatten.

Als Gott seine Hand auf sie legte und sie aus Ägypten heraufbrachte, hatten sie eine klare Vision. Sahen den Vorsatz und die Absicht Gottes. Und das wurde zum triumphierenden Ton ihres Liedes auf der anderen Seite des Roten Meeres. Ich sage im Augenblick nicht, worin dieser Vorsatz bestand. Aber sie waren ein Volk, dem Gott eine Vision seines Vorsatzes in Bezug auf sie gegeben hatte, sowohl was sie selbst als auch ihre Berufung betraf. Diese hatten sie verloren, und das war das Ergebnis; und die Propheten, als sie die Sache angingen, pochten auf diese eine Wahrheit: «Dass eure Berufung in Fülle realisiert und vollendet werden kann, hängt von eurer Vision ab, und die Fülle der Berufung erfordert die Fülle der Vision». Das bedeutet: Wenn eure Vision geringer wird als Gottes Fülle, dann werdet ihr nur so weit gehen und dann innehalten. Wenn ihr wirklich bis zu all dem voran kommen wollt, was Gott sich vorstellte, als er euch zu seinem Gefäß einsetzte, dann benötigt ihr die Fülle der Vision; Gott ist nie mit weniger als mit der Fülle zufrieden. Schon die bloße Tatsache, dass ihr nicht weiterkommt, als euch eure Vision führt, ist Gottes Art zu sagen: «Ihr müsst die Fülle der Vision haben, wenn ihr die Fülle des Vorsatzes und dessen Verwirklichung erreichen wollte».

Nun, das ist die eigentliche Grundlage von dem, womit wir uns im Augenblick beschäftigen. Die Propheten redeten ständig von dieser Sache. Wir haben vorher schon Hosea 4,6 erwähnt: «Mein Volk geht zugrunde aus Mangel an Erkenntnis; denn du hast die Erkenntnis verworfen, darum will ich auch dich verwerfen, dass du nicht mehr mein Priester seist». Damit wird mit andern Worten bloß ausgedrückt: «Mein Volk fällt auseinander, weil ihm die Vision abhanden gekommen ist; ihr habt eure Augen vor dem Vorsatz verschlossen, den ich euch präsentiert habe; Ich habe keine Verwendung mehr für euch»; und das ist natürlich eine sehr starke Aussage. Es führt zu einer anderen Stelle: «Verschlungen wird Israel! Schon sind sie unter den Heiden geworden wie ein Gefäß, an dem man kein Wohlgefallen hat» (Hosea 8,8).

Wenn ihr die volle Kraft dieser Worte haben wollt, müsst ihr euch Jeremias Prophetien anschauen. «Ist dieser Mann, dieser Konja, denn ein verworfenes, zertrümmertes Gefäß? Ist er ein Geschirr, an dem man keinen Gefallen findet? Warum wurde er samt seinem Samen weggeschleudert und hingeworfen in ein land, das ihnen unbekannt ist? O Land, Land, Land, höre das Wort des Herrn! So spricht der Herr: Schreibt diesen Mann auf als kinderlos, als einen mann, dem es sein Leben lang nicht gelingen wird; ja, es soll keinem seiner Nachkommen gelingen, auf dem Thron Davids zu sitzen und weiterhin über Juda zu herrschen!» (Jeremia 22,28-30). «Israel ... unter den Heiden ein Gefäß, an dem niemand Wohlgefallen hat». «Konja, ein Gefäß, an dem niemand Gefallen hat ... schreibt diesen Mann als kinderlos auf». Für ein solches Gefäß gibt es keine Zukunft. Wir können sehr wohl von Israel wie von Konja sagen: «Schreibe diesen Mann als kinderlos auf». Das ist ein Ende. Wenn es weitergehen soll, gerade hindurch ohne Unterbruch, dann erfordert dies die Fülle der Vision.


Vision, nicht Kenntnis der Tatsachen,
qualifiziert für die Berufung

Bitte merkt euch dies, insbesondere meine jüngeren Brüder und Schwestern in Christus. Die Erfüllung dessen, wozu ihr durch die Gnade Gottes berufen worden seid - ihr könnt es Dienst für Gott, oder das Werk des Herrn nennen; das, was wir als göttliche Berufung zusammenfassen - muss auf einer Vision beruhen, die der Herr euch gegeben hat: eine Vision natürlich, die nicht einfach etwas für sich selbst ist, sondern welche die Vision ist, die er bezüglich seiner Gemeinde gegeben hat. Ihr müsst das haben. Dann wird das Maß, in dem ihr voranschreitet und zur Fülle gelangt, dem Maß eurer Vision entsprechen - dem Maß, in dem ihr persönlich dazu gelangt seid, diese göttliche Vision zu besitzen. Es gibt eine ganze Menge von geringeren Dingen als dies, die euch in eine christliche Arbeit führen. Vielleicht hört ihr einen Aufruf für Mitarbeiter, einen Aufruf für Missionare, einen Appell zum Dienst, der sich auf irgend eine Schriftstelle stützt - «Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium» - und so weiter. Und als Begleiterscheinung von diesem Appell werdet ihr vielleicht bewegt, innerlich erregt, vielleicht ist euch feierlich zumute; vielleicht geschieht etwas im Bereich eurer Gefühle, eurer Empfindungen, eurer Vernunft, und ihr betrachtet dies als göttlichen Ruf. Nun, ich habe nicht gesagt, dass noch nie jemand dem Herrn richtig und wahrhaftig auf dieser Basis gedient habe; bitte versteht mich nicht falsch. Was ich aber sagen möchte, ist dies: All das mag vorhanden sein, und sogar in sehr intensiver Form, und doch ist es möglicherweise nicht eure eigene Vision, sondern die eines andern, die auf euch übertragen wurde, und das haut nicht hin.

«Aber», sagt ihr, «da ist doch das Schriftwort - geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium». Vergesst nicht, jene, an die diese Worte gerichtet wurden, hatten alle Fakten über Christus - die Fleischwerdung, die Jungfrauengeburt, sein Leben, seine Lehre, seine Wunder, sein Kreuz, und all die sie begleitenden himmlischen Bestätigungen. Einige von jenen Männern - die Jünger von Johannes - waren anwesend, als die Stimme vom Himmel sagte: «Das ist mein lieber Sohn». Andere waren mit ihm auf dem Berg, als die Stimme wiederum sagte: «Das ist mein lieber Sohn». Sie sahen seine Verklärung, und sie sahen ihn in der Auferstehung. Ist das nicht genug, um damit in die Welt hinauszuziehen - all diese Masse von mächtigen Tatsachen? Ganz sicher können sie nun hinausziehen und proklamieren, was sie wissen, oder? Eben nicht - «Wartet in Jerusalem».

Was war es aber schließlich, das jene Männer dazu befähigte, den Befehl, hinauszugehen, zu erfüllen und ihm zu gehorchen? «Nun», sagt ihr, «natürlich war es die Anwesenheit des Heiligen Geistes». Vollkommen zutreffend. Aber war da nicht noch etwas anderes? Warum die vierzig Tage nach der Auferstehung? Meint ihr nicht, dass sie durch die äußerlichen Dinge, die bloßen Ereignisse hindurch mussten, um etwas zu sehen - etwas, das kein menschliches Auge sehen konnte, das nicht durch welche Menge äußerlicher Machtdemonstrationen gesehen werden konnte? Wenn man sich in dieser Sache überhaupt auf den Apostel Paulus berufen kann, wird er uns vollkommen deutlich sagen, dass sich sein ganzes Leben, sein Dienst und sein Auftrag auf dieses eine gründete: «Es hat Gott wohlgefallen ... seinen Sohn in mir zu offenbaren, damit ich ihn unter den Heiden verkündigen sollte». «Ich lasse euch wissen, Brüder, was das Evangelium betrifft, das von mir verkündigt wurde, dass es nicht dem Menschen gemäß ist. Weder habe ich es von einem Menschen empfangen, noch hat man es mich gelehrt, vielmehr erreichte es mich durch eine Offenbarung von Jesus Christus» (Gal. 1,15.16;1,11.12).

Alle anderen Dinge mögen Tatsachen sein, die wir besitzen, weil wir das Neue Testament lesen. Wir haben das alles, und wir mögen es als die Substanz des Christentums glauben. Das aber macht aus uns keine Missionare, die hinausziehen und die Tatsachen von Christus verkündigen - auch wenn es sich um Tatsachen handelt. Das ist es nicht. Wie viele haben genau dies getan! Wie weit sind sie gekommen? Nun, sie gehen ein Stück weit, und dann halten sie inne. Wir können uns nicht bei dieser Begrenzung aufhalten. Liebe Freunde, es besteht eine schreckliche Begrenzung in der Gemeinde eben heute, eine Begrenzung der Erkenntnis des Herrn, selbst auf Seiten vieler, die schon seit langer Zeit Diener des Herrn gewesen sind. Es gibt viele Christen, selbst solche, die es schon seit vielen Jahren sind, mit denen es schwierig ist, über die Dinge des Herrn zu reden.

Die Vision - Gottes voller Vorsatz in der Errettung

Doch zurück zu Israel: Ihr findet in Bezug auf Israel nichts, das andeutet oder darauf hinweist, dass sie aus Ägypten gekommen, in der Wüste gewesen und später ins Land hinein gelangt seien, um das zum ihrem Evangelium zu erklären, dass Gott sie aus dem Land Ägypten heraus geführt habe. Das war nicht ihre Botschaft. Natürlich wird es oftmals wieder erzählt, aber das war nicht ihre Botschaft, es war nicht das, was sie proklamierten. Was aber stand ihnen denn ständig vor Augen? Es war das, wofür sie hinausgebracht wurden. Es war Gottes Vision in Verbindung mit ihrem Auszug. So viele von uns haben sich damit zur Ruhe gesetzt, einfach die Seite des «Herauskommens» zu predigen - Errettung von der Sünde, von der Welt. Wir kommen immer nur bis dahin, doch die Gemeinde bringt es damit nicht sehr weit. Es ist gut, es stimmt natürlich; es ist ein Teil des Ganzen; aber es ist doch nur ein Teil. Wir benötigen die volle Vision, um durchzukommen. Oh das Pathos, das mit dem Leben vieler der Diener Gottes verbunden ist! So geraten in einen Stillstand in einem Bereich des begrenzten Lebens, der begrenzten Kraft und des begrenzten Einflusses, weil ihre Vision so klein ist. Trifft das nicht zu?

Was will ich euch damit sagen? Erstens, wenn ihr wirklich durchkommen und dem Herrn auf eine volle Weise dienen wollt, dann müsst ihr eine Offenbarung des Vorsatzes Gottes hinsichtlich seines Sohnes in eurem Herzen haben. Ihr müsst imstande sein, sagen zu können, dass «Gott seinen Sohn in euch geoffenbart» habe, und zwar in dem Sinne, dass ihr nicht nur eure Befreiung von der Sünde seht, sondern auch Gottes Vorsatz hinsichtlich seines Sohnes, für den wir gerettet wurden - die große Sache, die volle Sache! Ihr seid nur ein Fragment darin. Das ist die Basis des Dienstes, der Berufung; und diese Apostel wurden zurückgehalten, bis der volle Widerschein der Bedeutung des auferstandenen und erhöhten Christus über sei hereingebrochen war - die Vision des verherrlichten Christus und alles dessen, was das im ewigen Vorsatz Gottes bedeutet. Dann zogen sie los, und wir stellen fest, dass ihr Botschaft stets nicht das Evangelium Gottes hinsichtlich der persönlichen Errettung, sondern «das Evangelium Gottes... hinsichtlich seines Sohnes, Jesus Christus» war. Sie hatten nicht den historischen Jesus gesehen, sondern den verherrlichten Christus Gottes; und sie haben ihn nicht nur als eine objektive Vision gesehen, sondern seine wahre Bedeutung war über sie hereingebrochen.

Was für einen Wandelt stellte das von den alten Tagen her dar, als sie stets in Begriffen des kommenden Messias dachten, der ein zeitliches Königreich auf dieser Erde aufrichten würde, wobei sie zu seiner Rechten und Linken sitzen würde! Sie wären dann vornehme Leute hier auf dieser Erde, und würden die Römer aus ihrem Land hinauswerfen! All das hier auf Erden war ihre volle und einzige Vision - sie würden buchstäblich mit den Waffen kämpfen, sich buchstäblich gegen die Usurpatoren ihres Landes revoltieren.

Doch welch große Veränderung trat ein, als sie sein Königreich wahrnahmen! Jetzt verschwand das, was sie vorher so fest im Griffe hatte, ganz einfach, niemand dachte mehr daran. Sie hatten sein Reich gesehen! Er hatte doch gesagt: «Einige von denen, die hier stehen, werden den Tod keinesfalls kosten, bis sie den Sohn des Menschen in seinem Königreich kommen sehen» (Mt. 16,28). Was ist das Königreich? Es ist Christus, hoch erhaben über alle Herrschaft und Gewalt, das Zentrum und das Ziel aller göttlichen Ratschlüsse von Ewigkeit her. Natürlich ist das nur Sprache - es sind bloße Worte; doch muss man ihre Bedeutung erkennen. Ihr müsst eine Vision in eurem Herzen haben, bevor ihr ein Diener Gottes sein könnt, der es weit bringt, und ihr benötigt eine wachsende Vision, um durchzukommen. Kommt zurück zu Hosea: «Mein Volk geht zugrunde aus Mangel an Erkenntnis» (Hosea 6,3). Es ist eine wachsende, fortschreitende Vision, die uns zu Gottes vollem Ziel durchbringen wird. So muss es sein - wir dürfen uns nicht mit zwei oder drei Tatsachen über Christus und die Errettung zufrieden geben, sondern müssen die Augen unseres Herzens erleuchtet haben, um ihn zu sehen.

Was ich sage, ist natürlich eine Feststellung von Tatsachen. Ich kann euch nichts geben, in kann euch nicht da hinein bringen; aber ich kann, so hoffe ich wenigstens, euch ein bisschen dahin beeinflussen, dass ihr zum Herrn geht und sagt: «Nun, Herr, wenn du mich brauchst, dann bin ich bereit, ich stehe zur Verfügung; aber du musst das Fundament legen und meine Augen öffnen und mir die benötigte Vision vermitteln, damit ich nicht bloß hinausziehe und irgend welche Dinge über Christus verkündige». Etwas weit Größeres als nur dies ist nötig.

Das ist das Erste, und es trifft auf alle von uns zu, nicht nur auf diejenigen, die zu einem «vollzeitlichen Dienst» ausziehen, wie wir das nennen.

Israels Berufung - Gottes Gegenwart
unter den Nationen zum Ausdruck zu bringen

Nachdem wir das gesagt haben, ist es mir möglich, im Augenblick zum nächsten Punkt überzugehen. Welches war die Vision, die Israel verloren hatte, und zu der die Propheten das Volk zurückzubringen versuchten? Die Vision war die - die eigentliche Berufung, um derentwillen Gott seine Hand auf Israel gelegt hatte, die Bedeutung ihrer Existenz als Volk Israel. Was war das?

Die Bewegung Gottes war solcherart. Da gibt es Nationen und Völker, die sich über die ganze Erde ausbreiten. Aus all diesen Nationen nimmt Gott ein einziges Individuum, Abram, und versetzt ihn sozusagen ins Zentrum der Nationen. Das ist die geistliche Geographie davon. Und dann erweckt Gott von diesem Menschen einen Samen, und macht aus diesem Samen eine Nationen inmitten der andern Nationen; unterschieden von den Nationen, vollkommen anders, aber in ihrer Mitte. Und dann konstituiert Gott diese Nation aufgrund von himmlischen Prinzipien - ein gemeinschaftlicher Körper, der aus himmlischen, göttlichen, geistlichen Prinzipien besteht, wobei Gott selbst in der Mitte ist - mit dem Ergebnis, dass sich alle anderen Nationen um sie versammeln, um einen Blick auf sie zu werfen.

Und was stellten diese Nationen fest? Nicht das Predigen dieser Nation in ihrer Mitte; ihr hört überhaupt nichts davon, dass sie gepredigt hätten - d.h. dass sie Lehren und Wahrheiten verkündet hätten. Doch die Beobachter wurden gewahr, dass Gott, der einzig wahre und lebendige Gott dort war. Man konnte das nicht falsch deuten, sie kamen nicht darum herum, sie mussten es anerkennen: Gott ist da! Weil dieses Volk so konstituiert ist, ist Gott da, und rundherum registriert man die Gegenwart Gottes, wo immer dieses Volk hinkam. Oh, sogar bevor sie kamen, begann schon etwas zu geschehen. Hört, was Rahab sagt! Was sagte sie zu den Kundschaftern? Israel war noch gar nicht bis dorthin gekommen, und doch sagt sie: «Wir wissen alles über euch. Wir wissen, was ihr bedeutet. Wir haben alles darüber erfahren». Bereits geht die Furcht dieses Volkes ihnen voraus. Es ist etwas von geistlicher Kraft da, das man nicht mit Worten predigen muss. Da ist dieses Volk, mit Gott in seiner Mitte - weil Gott seine himmlischen Gedanken und Prinzipien zur eigentlichen Konstitution ihres Lebens gemacht hat, ist er da; und der Rest folgt.

Nun, ich habe in diese Feststellung die ganze Bibel gepackt, sowohl das Alte wie das Neue Testament. Was das Alte Testament betrifft, was war denn Israels göttliche Berufung? Nicht in erster Linie dies, dass es bestimmte Dinge über Gott sagen soll, sondern wie Gott inmitten der Nationen zu sein. «Gott ist in ihrer Mitte; sie wird nicht wanken» (Ps. 46,5). «Der Herr ist da». Wie viel zählte das doch! Das war ihre Berufung. Ihr könnt sagen, im Alten Testament sei dies nur typologisch vorhanden gewesen; doch es war weit mehr als bloß typologisch; es war eine Tatsache.

Die Berufung der Gemeinde - Der Ausdruck
der Herrschaft Christi

Wenn wir zum Neuen Testament kommen, befinden wir uns in der Gegenwart einer doppelten Entwicklung. Gott ist hier in der Person seines Sohnes, Jesus Christus, gegenwärtig. Sein Name ist Immanuel - «Gott mit uns» - und alle, die es mit ihm zu tun bekommen, haben es auf eine sehr persönliche und unmittelbare Weise mit Gott zu tun. Er behauptet von sich, dass sein physischer Körper der Tempel Gottes sei. Dann kehrt er, durch seinen Tod, seine Auferstehung und Erhöhung, in der Person des Heiligen Geistes zurück und nimmt seinen Wohnsitz in der Gemeinde, die sein Leib ist. Dann fangen die Dinge an, ganz spontan zu geschehen, aus der Welt geistlicher intelligenter Wesen heraus - nicht, weil bestimmte Lehren gepredigt werden, sondern wegen der Göttlichen Gegenwart.

Es sind bewusste, intelligente Wesen überall vorhanden, hinter Menschen und Nationen, und der Konflikt hat begonnen; nicht wegen dessen, was das Volk Gottes sagt, sondern einfach, weil sie da sind. Macht das zu einer gemeinschaftlichen Angelegenheit, und ihr habt Gottes Vorstellung von Berufung. Das ist nicht das Zeitalter der Bekehrung der Heidenvölker. Ich frage mich sogar, ob dies wirklich das Zeitalter der vollständigen Evangelisierung der Nationen ist. Wir hoffen, dass der Herr eines Tages kommen wird. Die Hälfte dieser Welt hat noch nie den Namen gehört, und dies nach zweitausend Jahren. Wenn der Herr heute Abend kommt, dann muss etwas geschehen, wenn die Welt evangelisiert werden soll, bevor er kommt! Das sagen wir nicht, um die Evangelisierung zu stoppen oder zu schwächen. Lasst uns damit weiterfahren und alles tun, was möglich ist; doch, vergesst nicht, der Herr hat uns die Bedeutung dieses Heilszeitalters mitgeteilt. «Dieses Evangelium vom Reich Gottes muss zu einem Zeugnis an alle Nationen gepredigt werden; und dann wird das Ende kommen» (Mt. 24,14).

Blickt auf das Neue Testament. Es wurde gesagt: «Ihr Schall ist ausgegangen über die ganze Erde» (Römer 10,18). Es heißt, die ganze Erde sei damit in Berührung gekommen. Doch ist die Welt seither ein ganzes Stück größer geworden. Was geschah zu jener Zeit? Der Herr pflanzte Kerne, gemeinschaftliche Darstellungen seiner Gemeinde, zuerst in dieser Nation, dann in jener, und durch deren Gegenwart brach der Kampf aus. Das eine, worauf Satan erpicht war, war das hinauszuwerfen, was sein Königreich mit der Souveränität des Herrn durchsetzte; das musste weg, aufgebrochen, aufgelöst, irgendwie zunichte gemacht werden; die Betroffenen mussten gegeneinander aufgebracht werdern, er musste Trennungen hervorrufen - irgendwie mussten diese Darstellungen der absoluten Herrschaft Christi verwüstet, zertrümmert, zerstört werden. Es musste neutralisiert, verdrängt, hinausgetrieben - es musste alles unternommen werden, sich dieser Sache im Innern seines Reiches zu entledigen. Satans Königreich hat so reagiert, um gleichsam zu sagen: «Solange diese Sache besteht, können wir unserer selbst nicht mehr sicher sein; solange das andauert, ist unser Königreich gespalten, es ist nicht mehr ganz; lasst uns das zum Verschwinden bringen, um unser Königreich wieder solide hinzukriegen».

Gottes Ziel ist es, einen gemeinschaftlichen Ausdruck von der Herrschaft seines Sohnes unter die Nationen zu bringen - damit er dort seinen Platz hat. Damit sage ich nicht, wir sollten nicht predigen; ja, wir müssen predigen, Zeugnis ablegen, bezeugen; doch das Entscheidende ist, dass der Herr da sein muss. Es gibt Zeiten - und das wird von vielen Diener Gottes bestätigt - da ihr nicht predigen, da ihr überhaupt nichts tun könnt, als auszuharren, wo ihr seid, indem ihr dort bleibt, euren Stand haltet, in engem Kontakt mit dem Himmel dort verbleibt. Ihr könnt nichts anderes tun, und die Wellen brechen nur so über euch herein. Das ist oft passiert. Bevor dort überhaupt irgend einen Fortschritt oder eine Entwicklung stattgefunden hatte, hatte es eine sich lange hinziehende Zeitspanne gegeben, während der immer nur die eine Frage im Raum stand: «Werden wir imstande sein, durchzuhalten, unseren Grund zu halten?». Satan hat gesagt: «Nicht, wenn ich es verhindern kann! Ihr werdet verschwinden, wenn ich irgend etwas dagegen tun kann!».

Der ganze Punkt, der zur Diskussion steht, ist der feste Stand des Herrn unter den Nationen. Israel wurde dazu eingesetzt; die Gemeinde wurde dazu eingesetzt. Es kann nicht durch Einzelne für sich bewerkstelligt werden; dazu ist das Gemeinschaftliche nötig - die Zwei, die Drei; je mehr, desto besser, vorausgesetzt, da gibt es den einigenden Faktor, die Einheit, die Einfalt. Sobald doppelte Motive und persönliche Interessen dazwischen kommen, werden diese alles zerstören. Führt ihr einen einsamen Kampf? Ihr benötigt Zusammenarbeit, ihr benötigt gemeinschaftliche Hilfe, um diesen Kampf zu Ende zu kämpfen und euren Grund halten zu können. Merkt euch, der Feind wird euch vertreiben, wenn er kann. Predigt, wenn ihr könnt; doch wenn ihr es nicht könnt, heißt das noch lange nicht, dass ihr aufgeben müsst. Solange der Herr nicht sagt: «Ich kann hier nichts mehr tun», müsst ihr ausharren. Kennen wir nicht die fürchterlichen Anstrengungen des Feindes, uns zu vertreiben? Viele von euch sind weit genug gekommen, um zu wissen, was das heißt. Wenn er euch hinauswerfen könnte, würde er es tun.

Doch das ist die Vision - wozu die Gemeinde in Bezug auf den Herrn Jesus konstituiert wurde: so dass ihr, im Licht des kommenden Tages, als ein Zeugnis dieses kommenden Tages dasteht; zu einem Zeugnis unter den Nationen, «bis der kommt, dem das Recht zusteht», zu herrschen, und «die Reiche dieser Welt dem Herrn und seinem Christus zuteil geworden sind» (Offenb. 11,15); ein Brückenkopf bis zu jenem Zeitpunkt; einen aufgerichteten Altar, der bezeugt: «Das gehört dem Herrn: hier gelten die Rechte des Herrn: er hat das erkauft». Doch werdet ihr in den Umständen jede möglich Art von Widerspruch vorfinden, und jede Art von Angriff von Seiten des Feindes, um zu beweisen, dass der Herr hier nichts verloren hat, dass er hier keinen Rückhalt hat und dass es besser ist, wenn ihr verschwindet.

Seht ihr, wie nötig es ist, die Vision zu haben? Ihr könnt das nicht einfach aus Enthusiasmus tun - das wird nicht lange anhalten; auch nicht aufgrund der Vision eines anderen - das wird euch nicht bis zum Ende stützen. Ihr müsst wie dieser Mann Paulus sein, der «ausharrte, als sähe er den Unsichtbaren»; nicht, als habe er ihn vor langer Zeit einmal gesehen, sondern ständig im Lichte dessen leben, was ihr gesehen habt und noch seht - ein Licht, das immer weiter wächst.

Vision ist das Maß der Berufung

Nun, auch wenn das alles simpel und elementar ist, ist es nichtsdesto weniger grundlegend. Seht ihr, dass eine Vision von Gottes vollem Vorsatz hinsichtlich seines Sohnes, die ganz am Anfang in eurem Herzen geoffenbart wurde, dann aber immer klarer und voller heranwuchs, die Grundlage jeder Berufung ist? Ich vertraue darauf, dass nichts von dem, was ich gesagt habe, den Effekt haben wird, euch weniger ernst und hingegeben werden zu lassen in allen einfachen Weisen des Zeugnisgebens, oder dass ihr weniger Zeugnis ablegt bezüglich der Errettung. Doch denkt daran, dass ihr, um die Fülle zu erreichen, sehr viel mehr als dies sehen müsst. Ihr kommt genau so weit, wie eure Vision euch mitnimmt; darum haben wir alle das Gebet von Paulus nötig, Gott möge euch «den Geist der Weisheit und der Offenbarung geben in der Erkenntnis einer selbst; erleuchtete Augen eures Ver-ständnisses, damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung und was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen ist, was auch die überwältigende Größe seiner Kraftwirkung an uns ist, die wir glauben» (Eph. 1,17-19).

Das ist die Vision. Und dann, wie in Jesaja 25,7 geschrieben steht: «...er wird auf diesem Berg die Schleierhülle wegnehmen (w.: verschlingen), die alle Völker verhüllt, und die Decke, womit alle Nationen bedeckt sind». Was soll das heißen - «auf diesem Berge»? Auf welchem Berg? Nun, es ist der Berg Zion. Doch war dieser buchstäbliche Berg, der Berg Zion, diese felsige Eminenz in Jerusalem, je das Instrument dafür, dass die zudeckende Hülle von allen Gesichtern weggenommen wurde? Natürlich nicht! Was ist Zion? Zion ist, geistlich interpretiert, jenes Volk, das im Genuss der vollständigen Souveränität des Herrn lebt. Im unmittelbaren Kontext steht: «Er hat den Tod für immer verschlungen» (V.8). Durch seinen Triumph, den Triumph seines Kreuzes und seiner Auferstehung, kommt er zu uns. «Ihr seid gekommen zum Berg Zion» (Hebr. 12,22). Zion ist der Bereich seiner absoluten Herrschaft, ein Volk, das unter seiner vollständigen Herrschaft lebt. Dann ist die Decke entfernt worden. Was der Herr hier und dort und überall haben möchte, sind diese Kerne, diese kleinen Gemeinschaften von Menschen, die im Genuss seines Sieges leben, die davon leben, dass er den Tod siegreich verschlungen hat. Und wo sie sind, da werden die Leute sehen; da werden sie das Instrument dafür sein, dass die Decke vom Antlitz anderer Menschen entfernt wird. Wo sich eine solche Gemeinschaft findet, da seht ihr den Herrn. Wenn ihr mit diesen Leuten in Berührung kommt, kommt ihr mit Realität in Berührung.

Der letzte Aufruf geht also dahin, dass alles der Vision angepasst und auf ihre Linie gebracht werden muss, und die eine Frage, die sich uns stellt, ist die: Sehen die Menschen den Herrn? Es geht nicht darum, ob sie hören, was wir darüber sagen können - also um unser Predigen, unsere Lehre, um Interpretation - sondern: Sehen sie den Herrn wirklich, fühlen sie den Herrn, begegnen sie dem Herrn? Oh, ich bitte nicht darum, dass ihr euch an euren unterschiedlichen Orten zu zweit oder dritt versammelt, um irgend welche Bibellehren zu studieren; vielmehr bitte ich euch, den Herrn zu bitten, dass er euch gemeinschaftlich so konstituiert, dass ihr einen geistlichen Eindruck hinterlasst, damit der Herr in euch gesehen werden kann, damit der Herr gefunden wird; damit von euch gesagt werden kann: «Der Herr ist dort!». Möge dies auf uns zutreffen, wo immer wir auch sein mögen.

In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.