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Die Zentrale und Universelle Stellung des Kreuzes

von T. Austin-Sparks

Kapitel 1 - Das Kreuz und die Person Christi

Es ist von weitreichender Bedeutung und hat entscheidende Konsequenzen, zu erkennen, dass man die Person unseres Herrn losgelöst vom Kreuz nicht wirklich kennen und verstehen kann. Ebenso folgenreich ist es, zu realisieren, dass das Kreuz nur wirklich verstanden und angemessen geschätzt wird, wenn man die Person Christi richtig wahrnimmt. Diese beiden Dinge arbeiten Hand in Hand und sind von einander abhängig.


Wer Jesus ist

In den Tagen seines Erdenlebens wollten seine Jünger und die übrigen Leute einen kreuzlosen Christus. Sie konnten keinen Platz für das Kreuz erkennen. Es war ein Widerspruch zu all ihren Hoffnungen und Erwartungen. Sooft er es erwähnte, kroch ein dunkler Schatten über sie, und sie waren beleidigt. Tatsächlich revoltieren sie regelrecht gegen die Vorstellung und jede Andeutung diesbezüglich.

Parallel zu dieser Unfähigkeit, die Bedeutung und den Wert des Kreuzes zu erkennen, verlief einerseits seine ständige Bezugnahme auf seine eigene Person als Sohn Gottes, und andererseits ihre totale Unfähigkeit, ihn zu erkennen. Nur in flüchtigen Erleuchtungsblitzen hat der eine oder andere ihn als solchen erkannt; dann aber ließ sich aus ihrem Verhalten sehen, dass sie die Wahrnehmung wieder verloren und dass die allgemeine Wolke der Ungewissheit sie wieder einhüllte. Der Zustand und die Position, in welcher wir sie vorfinden, nachdem er gekreuzigt worden war, zeigt, wie die Wirklichkeit seiner Person es nicht schaffte, ihr innerstes Leben in Besitz zu nehmen. Das Interessante und Bedeutsame jedoch ist, dass der Herr die ganze Zeit darauf hinwies, dass diese zwiefache Unfähigkeit beseitigt werden würde, wenn das Kreuz tatsächlich eine vollendete Tatsache sein würde. Das achte Kapitel des Johannesevangeliums ist ein starkes Beispiel dafür. Darin konzentriert Jesus alles auf die Frage nach seiner Person.

«Ich bin das Licht der Welt... Da sprachen die Pharisäer zu ihm: Du legst von dir selbst Zeugnis ab;dein Zeugnis ist nicht glaubwürdig. Jesus antwortete... mein Zeugnis ... ist glaubwürdig; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme und wohin ich gehe. ... Da sprachen sie zu ihm: Wo ist dein Vater? Jesus antwortete: Ihr kennt weder mich noch meinen Vater. Wenn ihr mich kennen würdet, so würdet ihr auch meinen Vater kennen... Und er sprach zu ihnen: Ihr seid von unten, ich bin von oben. Ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. ... Da sagten sie zu ihm: Wer bist du? Und Jesus sprach zu ihnen: Zuerst das, was ich euch eben sage!» (Joh. 8,12-25).

Dann kommt die Feststellung, die den Wendepunkt von allem darstellt.

«Darum sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin» (8,27). (Lest doch bitte das ganze Kapitel zu Ende).

Durch mehr als einer bloßen Andeutung hat Jesus dasselbe Prinzip bei Nikodemus zugrunde gelegt. Auch Nikodemus torkelte im Schatten der Person Christi umher. «Wir wissen, dass du ein Lehrer bist, der von Gott kommt...» Jesus wies ihn darauf hin, dass, um «sehen» zu können, etwas geschehen muss, wodurch wir eine neue Fähigkeit erlangen; eine neue Geburt ist nötig. Dann führte er Nikodemus zum Kreuz, indem er denselben Satz benutzt wie in Kapitel acht: «Wie Moses in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden» (Joh. 3,14). Das Gesetz verkündete, dass es das Kreuz sein wird, das enthüllt, wer Jesus ist.


Vereinigung mit Gott für den Menschen
in Christus gesichert

In dem, was wir eben gesagt haben, liegt das wahre Wesen der Bedeutung Christi. Lasst uns einen kurzen Blick auf diesen wesentlichen Inhalt werfen. Welches ist DIE Sache, für die Christus hauptsächlich in der ganzen Offenbarung der Schrift steht? Die Antwort lautet: VEREINIGUNG MIT GOTT.

Das war die Sache, nach welcher der Mensch gesucht hat, seitdem der Mensch ein sündiges Geschöpf gewesen ist. Auf beinahe unzählige Arten und durch ebenso viele Mittel hat er jenen Frieden und jene Ruhe gesucht, die man nur durch Vereinigung mit Gott haben kann. Irgendwo, irgendwo (so zeigt uns die Bibel) ging die Gemeinschaft mit Gott verloren. Drei Dinge wurden zum bleibenden und stets aktiven Kennzeichen dieses Bruchs in den Beziehungen. Das eine - die Lüge; das zweite - die Feindschaft; und das dritte - der Tod.

Die Resultate des Falles

(a) Eine geglaubte Lüge

Nicht nur hat der Mensch eine Lüge geglaubt und akzeptiert; vielmehr ist sie in seine Konstitution hinein gelangt, und so ist er eine verführte und verdunkelte Seele. Von sich aus weiß er die Wahrheit nicht, ja, er ist überhaupt nicht imstande, sie zu kennen und zu sein. «Überaus trügerisch ist das Herz und bösartig; wer kann es ergründen?» (Jer. 17,9). Dem Menschen wurde gesagt, wenn er einen Lauf gegen das einschlagen würde, was Gott niedergelegt hat, und sich das Recht herausnähme, seine eigene Vernunft unabhängig von Gott zu benutzen, so würde er sein «wie Gott». Er akzeptierte die Lüge, forderte seine Überlegenheit ein, inthronisierte seine Vernunft in Unabhängigkeit, und wurde durch die Lüge mit Beschlag belegt. Die Auswirkung davon war - und ist - eine ungeheure Entwicklungen menschlicher Errungenschaften, durch die der Mensch ein Herr in seinem eigenen Recht geworden ist (wie er wenigstens glaubt), und er wurde blind für die Tatsache, dass Zerstörung und Herzeleid die stets wachsende Frucht seiner Wissenschaft sind. Das ist in einem solchen Grade der Fall, dass von Menschen, die in einer Position waren, sie zu stellen, ernsthaft die Frage erwogen wurde, ob die Wissenschaft etwa ein größerer Wohltäter oder nicht eher ein Fluch sei.

Mann sollte daran denken, dass wir das meiste an Arbeitslosigkeit mit allem daraus sich ergebenden Elend und allen Schwierigkeiten der Wissenschaft verdanken, die Menschen durch Maschinen ersetzte hat und menschliche Fertigkeit durch Massenproduktion. Dieselbe Verantwortung liegt vor den Toren der Wissenschaft für die Fähigkeit, Menschen und die Erde in einem solchen Ausmaß zu zerstören, wie es vor einer Generation noch undenkbar war. Übertragt nun den gegenwärtige Lauf der Dinge und sein Tempo in in paar weitere zukünftige Generationen, und was für eine Welt wird das dann sein? Natürlich kann man nicht argumentieren, die Wissenschaft sei an sich notwendigerweise böse, doch der Punkt, um den es uns geht, ist der, dass der Mensch glaubt, er mache ständig Fortschritte zum Besseren, während es in Tat und Wahrheit keine moralische Höherentwicklung gibt, die mit der intellektuellen Entwicklung Schritt halten könnte.

Diese Sache wird nicht weiter verfolgt, doch aus dem bloßen schlichten Hinweis, der gemacht wird, lässt sich mit Gewissheit sehen, dass die Menschheit auf einer Lüge in Form eines Tigers reitet, der sie in Stücke reißen wird. Doch die starke Wirkung der Lüge liegt in der Tatsache, dass der Mensch dies nicht erkennt, er ist blind und tappt im Dunkeln, was ihre Natur und ihren Ursprung angeht. Das alles ist Satans Ärger gegen Gott.

[Anmerkung eines Wissenschaftlers: «Sowohl die Geschichte als auch die Wissenschaft berechtigen uns, zu glauben, dass die Menschheit bei der Anhäufung von Wissen und Erfahrung und beim Erfinden von Hilfsmitteln für das praktische Leben große Fortschritte gemacht hat, und der Wert vieler dieser Dinge ist unbestreitbar. Doch stellen sie, was die menschliche Natur betrifft, keinen eigentlichen Fortschritt dar, und angesichts des Nichtvorhandenseins sind jene «Gewinne» bloß äußerlich, unsicher, und haben die Tendenz, SICH ZU UNSERER EIGENEN ZERSTÖRUNG AUSZUWIRKEN».

Sicher bestätigt dies - ein bloßes Fragment aus einem ganzen Buch - die Worte des Apostels: «Und so bewahrheitet sich das Wort der Schrift: Ich werde die Weisheit der Weisen zerstören und die Intelligenz jener zunichte machen, die vorgeben, zu wissen... Gott macht die Weisheit dieser Welt zur Torheit, denn, da die Welt in ihrer Weisheit die Erkenntnis Gottes verlor, wurden ihre Augen verschlossen, und siehe! nun scheint es, dass die Weisheit Gottes als etwas Törichtes verkündigt wird, töricht im Licht jener alten Weisheit. Sie empfiehlt sich der alten Weisheit nicht... Christus jedoch ist die Weisheit Gottes und die Kraft Gottes. Es steckt mehr Weisheit in der «Torheit» Gottes als in der menschlichen Klugheit» (1. Kor. 1,18-25)]

b. Eine aufgerichtete Feindschaft

Dasselbe trifft auf die Angelegenheit der Feindschaft zu. Es ist nie ein weiter Weg vom persönlichen Interesse und von der Selbstverwirklichung zu Krieg und Blutvergießen. Wir lesen von wenig Geschichte zwischen Adams Forderung nach persönlicher Ehre und Kains Ermordung seines Bruders. Beide sind im Prinzip ein und dasselbe. Ob es sich nun, wie am Anfang, um individuelle Fälle handelt, oder um Millionen, die eingeschlossen sind in eine tödliche gegenseitige Vernichtung, die Wurzel liegt so oder so beim Verlangen des Menschen, sich Dinge anzueignen. Der Name bedeutet «Gewinnsucht» oder «Besitzgier». Wir müssen diesbezüglich vollkommen ehrlich sein. Die christliche Gemeinde macht bei dieser Regel keinerlei Ausnahme. Christen wurden in Tausende von Parteien zerstückelt, und eine große Zahl davon sind einander entgegensetzt, oder gehen zumindest auf misstrauische Distanz zu einander. Die Feindschaft unter Gläubigen wird selbst im Neuen Testament zur Kenntnis genommen. Es ist jedesmal ein Werk des Teufels, aber selbst der Teufel muss dafür einen Grund haben. Diesen hat er in der Natur der alten Schöpfung des Menschen. Jede Trennung unter dem Volk Gottes ist - im Wesentlichen - wie die Feindschaften kämpfenden gottlosen Welt. Sie lässt sich auf irgend ein Element der alten Schöpfung zurückführen, das sich selbst bestätigen möchte. Es hat nie eine wahrhaft christliche Trennung unter Gläubigen gegen, und es wird sie auch nie geben. Denn jede solche Trennung ist irgendwie eine Verleugnung und ein Widerspruch zu Christus. Der scheinbare Grund braucht keine flammende fleischliche Regung zu sein, aber er wird nichts desto trotz etwas anderes sein als der Weg Christi. Feindschaft ist ein Hinweis auf eine unterbrochene, aufgehaltene oder gebrochene Einheit mit Gott; damit wollen wir es für den Augenblick belassen.


c. Tod

Der dritte Aspekt dieser zerstörten Vereinigung mit Gott ist der Tod. Wenn das Leben die vollkommene Angleichung und Harmonie mit Gott bedeutet, dann besitzt der Mensch kein Leben. Das Neue Testament geht davon aus, es diskutiert nicht darüber. Der Tod - im biblischen Sinne - ist nicht dies, dass man zu existieren aufhört, auch ist er kein unbeseelter Zustand. Er bedeutet einfach die Trennung von der Quelle echten Lebens, mit aller Unfähigkeit, die diese Trennung mit sich bringt. Der geistliche Tod ist etwas mächtig Aktives, und in allem, was sich wirklich auf Gott bezieht, wirkt er sich in einem mächtigen «ich kann nicht» aus.

Für die Verwirklichung aller Pläne und Vorsätze Gottes, und für die Konstituierung der Schöpfung, die er beabsichtigt, ist der Besitz seines eigenen göttlichen und unerschaffenen Lebens entscheidend. Der Mensch besitzt dieses Leben nicht von Natur aus, und der Humanismus eine der listigsten und populärsten - und auch die verheerendste - Formen von Satans Lügen. Darum kann der Mensch so, wie er ist, das Reich Gottes nicht sehen. Die Vereinigung mit Gott ist eine Frage, ob jemand das Leben Gottes besitzt oder nicht. Dazu gelangt man nur durch eine Mitteilung bei der Wiedergeburt. So werden wir also sowohl zur Person als auch zum Kreuz Christi hingeführt.

Christus ist eine neue Menschheit

Während noch Tiefen zurückbleiben, die selbst für erleuchtete Männer und Frauen Gottes zu tief und zu gefährlich sind, um den Versuch zu wagen, sie zu erforschen, so drängt sich doch klar die Schlussfolgerung auf, dass die Inkarnation dazu vorgesehen war, die Vereinigung zwischen Mensch und Gott, zwischen Gott und Mensch vorzustellen, was auch die göttliche Absicht war. Hier haben wir dies vor uns, dass Gott selbst sich mit dem Menschen verbindet. Doch - und das sollten wir gut verstehen - nicht mit dem sündigen Menschen, oder mit der gefallenen Menschheit. Gott bereitete diesen Körper - «dieses Heilige» - zu (Heb. 10,5; Lk. 1,35). Als Christus in diese Welt kam, kam mit eine Menschheit mit herein, die - auch wenn sie Menschheit war - sich vom ganzen Rest unterschied. Es gab folglich zwei Menschheiten, die eine repräsentiert durch diese einzigartige Person; die andere durch den Rest aller andern Menschen. Aber auch dann war seine Menschheit bloß eine vorläufige. Insoweit das beseelende Prinzip seines physischen Wesens das Blut war, war auch er Müdigkeit, Hunger und Durst unterworfen, und war daher auch fähig, zu sterben und die Verwesung zu sehen. Dass es zwar starb, aber die Verwesung nicht sah, geschah aufgrund der souveränen Intervention Gottes und aufgrund der moralischen Vollkommenheit - oder Heiligkeit - seiner Natur. «Du wirst nicht zulassen, dass dein Heiliger die Verwesung sehe» (Ps. 16,10). Der vorläufige Zustand Christi bezog sich vollständig auf seine Berufung als Erlöser. Als diese vollbracht war, besaß er noch immer einen menschlichen Körper - aber nicht mehr beseelt durch das Blut-Prinzip als Basis des Lebens. Nun - auch wenn es ein Körper ist - ist es ein «geistlicher Leib», und daher auch ein verherrlichter Leib. Es ist nicht dem irdischen Körper Christi vor der Auferstehung, dem wir gleichförmig werden sollen, sondern «seinem verherrlichten Leibe» oder «dem Leibe seiner Herrlichkeit!»

[Anmerkung: Ich bin mir bewusst, dass, was ich oben gesagt habe, die Frage nach dem «unverderblichen Blut» Christi aufwerfen kann, doch geht es mir in keiner Weise um seine moralische Natur, sondern nur darum, dass er dass er auf diese Lebensgrundlage gestellt wurde - für eine bestimmte Zeit - die es ihm möglich machte, physisch zu sterben. «Verderblichkeit» (corruption) darf nur in diesem Sinne verstanden werden, nicht in geistlichem oder moralischem Sinne. Auch bin ich mir bewusst, dass die Physiologen mit ihrer Debatte noch nicht zu Ende gekommen sind, wo sich denn der Sitz der Verderblichkeit eigentlich befindet, z.B. ob es wirklich das Blut ist. Ich meine, die Bibel sagt klar, dass es dies ist.]

Wir zeigen auf, dass in Christus Gott und Mensch zusammengebracht wurden, doch in einem ganz anderen Menschen als wir es sind. Darum ist eine Vereinigung mit Gott - welche die Hauptoffenbarung der Bibel darstellt, umfassend enthüllt im Neuen Testament - stets und ausschließlich in Christus möglich ist. Solange wir nicht auf die Lebensgrundlage der Auferstehung hinüber gelangt sind, wird es stets eine Glaubensposition in ihm sein; noch keine tatsächliche in unserem sterblichen Fleisch. Doch dazu später mehr. In Christus findet Gott seine vollkommene Befriedigung, und darum hat er sich auch vollständig ihm verpflichtet. Die Vereinigung ist vollkommen.

Die Lüge, die Feindschaft und der Tod
in Christus annulliert

Doch dies beinhaltet und verlangt, dass das dreifache Resultat und das Kennzeichen der zerbrochenen Vereinigung in Christus ausgeschaltet und nicht-existent ist. Oder, um es anders herum zu sagen, Christus ist das Gegenteil und die Negation der Lüge, der Feindschaft und des Todes. Darum geschieht es, dass die geistlichste und himmlischste Offenbarung von Christus, wie sie das Johannesevangelium enthüllt, in Begriffen von Leben, Licht und Liebe vermittelt wird. Licht und Wahrheit sind auswechselbare Namen. In diesem Bericht macht Christus diese Dinge zu mehr als zu bloßen Abstraktionen; er lässt sich persönlich werden, und sagt: «Ich bin diese Dinge». In Ihm gibt es keine Dunkelheit, keinen Schatten, keine Lüge und keinen Mangel an absoluter Transparenz. Es gibt keine Feindschaft, keine Streit, kein Schisma, keinen Krieg in seiner Natur, auch nicht in seiner Einstellung oder Beziehung zu den Menschen ALS MENSCHEN (nur mit dem Bösen in der Welt und in den Menschen). In ihm gibt es keine Trennung vom Brunnquell des Lebens. Er kann sagen: «Ich bin die Auferstehung und das Leben» (Joh. 11,25). Diese ganze Negation der Ergebnisse der zerbrochenen Vereinigung mit Gott kam deshalb zustande, weil in ihm nichts Eigensüchtiges war. Es lässt sich leicht erkennen, dass die ganze Anstrengung des Teufels - in ihren vielen Formen - darauf aus war, ihn dazu zu bringen, dass er auf irgend eine Weise selbstsüchtig handelte - aufgrund von Eigeninteresse, Selbstverwirklichung, Selbstverteidigung, Selbstschutz, Selbstmitleid, eigener Unabhängigkeit, eigenen Ressourcen, etc. etc. Wäre es ihm an diesem Punkt irgendwie gelungen, dann hätte dies aufs Neue einen Keil zwischen Gott und den Menschen getrieben, und das hätte den ganzen Plan der Errettung scheitern lassen. Doch der reine Grund äußerster Selbstlosigkeit wurde unter höchsten Kosten und durch feurigste Prüfungen hindurch bewahrt, und der Fürst dieser Welt war hilflos. Die Vereinigung blieb intakt. Leben, Licht und Liebe triumphieren, weil das Ich aufs äußerste verneint wird. Doch das alles betrifft vorerst nur ihn selbst, und insoweit bleibt seine Einzigartigkeit. Er bleibt allein, wenn man es hierbei bewenden lässt.

Die Menschheit Christi mitgeteilt - durch das Kreuz

So gehen wir im Johannesevangelium weiter bis zu dem Punkt, an den einige kommen und sagen: «Wir möchte gerne Jesus sehen» (Joh. 12,21). Auf diese Nachfrage gibt Jesus eine Antwort, die zwei Dinge bedeutet. 1. Wer mich so sieht, wie andere mich hier und jetzt sehen, heißt mich überhaupt nicht zu sehen; d.h. man sieht mich zwar, nimmt mich aber nicht wahr». 2. Um mich wirklich zu sehen und zu kennen, ist eine Vereinigung mit mir auf organische Weise nötig; das heißt, was auf mich in Beziehung zu meinem Vater und seiner Beziehung zu mir zutrifft, muss auf eine inwendige Weise auch bei dir wahr werden, inwieweit es dich betrifft». Daher: «Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht» (Joh. 12,24). «Ich bin nicht gekommen, um «allein zu bleiben». Was für mich in Bezug auf meine Vereinigung mit dem Vater gilt, gilt auch für euch IN MIR». Doch an diesem Punkt werden wir durch die Person zum Kreuz geführt. «Nun ist meine Seele betrübt; und was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde? Zu diesem Zweck bin ich doch gerade in diese Stunde gekommen!» (Joh. 12,27). Und ich, wenn ich erhöht sein werde von der Erde, werde ich alle Menschen zu mir ziehen. Das aber sagte er, um anzudeuten, mit welcher Art von Tod er sterben würde» (V. 32.33).

Der Apostel Paulus hat diesen Boden mit einer einzigen, umfassenden, erleuchtenden und erklärenden Aussage aufgearbeitet. Wir geben die Schwerpunkte wieder.

«Die Liebe des Christus drängt uns, da wir von diesem überzeugt sind: Wenn einer für alle gestorben ist, so sind sie alle gestorben; und er ist deshalb für alle gestorben, damit die, welche leben, nicht mehr für sich selbst leben, sondern für den, der für sie gestorben und auferstanden ist» (2. Kor. 5,14-15).

Jemand hat einiges von der obigen Stelle frei so übersetzt:

«Ich sehe die Liebe Christi, ich sehe in seinem einen Tod den Tod von uns allen bereits vollbracht entsprechend der Art seines Todes - der Tod VON ALLEM, WAS UNS VON GOTT TRENNT».

Das heißt sehr klar, dass wir, um wirklich wissen zu können, wer Christus ist als der Eine, in dem Gott und Mensch allein zusammengebracht werden können, auf eine erfahrungsmäßige Weise ans Kreuz kommen müssen. Wir müssen seinen Tod als den unseren erkennen, und dann, ebenfalls in der Erfahrung - durch Glauben - ein Leben in ihm kennen lernen, das das alte Eigenleben weggelegt hat.

Die Person Christi durch das Kreuz erleuchtet

Doch müssen wir für einen Augenblick etwas zurückgehen. Was war die eigentliche Bedeutung des Kreuzes, und was bewirkte es? Alles, was wir über die Person Christi gesagt haben, traf vollständig auf ihn zu, unabhängig vom Kreuz. Für ihn war das Kreuz keine Notwendigkeit. Doch kam eine Zeit, da er zu dem gemacht werden sollte, was er selbst gar nicht war. Um uns zu erlösen musste er, der von keiner Sünde wusste, an unserer Stelle zur Sünde gemacht werden. In dieser Stunde wurde er in die Position des Menschen als das Opfer der Lüge Satans mit seiner Dunkelheit versetzt. So musste er ebenfalls die Feindschaft unseres gefallenen Zustandes auf sich nehmen, und in dieser tiefen Erfahrung, in dieser REPRÄSENTATIVEN Position verlor er das Bewusstsein von der Liebe des Vaters. Es blieb nur noch die dritte Phase jener Verantwortung übrig - der Tod. Für eine schreckliche, ewige «Stunde» wurde Christus von seinem Gott getrennt - verlor er die Vereinigung mit seinem Gott. «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Mt. 27,46). Das Geheimnis ist zu tief für uns, doch die Tatsache und der Grund sind klar und unmissverständlich.

So starb er, «er kostete den Tod» - einen schrecklichen Tod, der nichts anderes ist als das volle und nackte Bewusstsein, der Gewahrung, der Realisierung der äußersten Trennung und des Verlassenseins von Gott! doch IN SICH SELBST war er Gottes sündloser Sohn, und als solcher konnte er vom Tod nicht zurückgehalten werden (Apg. 27,46). Aufgrund seiner wesensmäßigen Sündlosigkeit überlebte er den Zorn, der wegen dessen auf ihm ruhte, wozu er für diese dunkle Stunde gemacht wurde. Er überwand und zerstörte die Ursachen, den Grund, die Kraft und den Urheber des Todes.

«Durch Schwachheit und Niederlage
gewann er den Lohn und die Krone;
trat er all unsere Feinde unter unsere Füße,
indem er niedergetreten wurde.
Er legte die Hölle in der Hölle flach,
zur Sünde gemacht, unterwarf er die Sünde;
ins Grab gebeugt zerstörte er es,
sterbend erschlug er auch den Tod»

Es war mehr als ein Mensch nötig, um dies zu vollbringen. «Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst» (2. Kor. 5,19).

So wurden also am Kreuz der Grund und die Natur der Trennung von Gott vernichtet, und im auferweckten Christus wurde dies Vereinigung für uns vollkommen. «Es gibt darum keine Verdammnis mehr für die, die in Christus Jesus sind» (Röm. 8,1).

Diese vollkommene Keine-Verdammnis-Gemeinschaft mit Gott, konkret vollzogen durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt, wenn wir an Christus glauben, ist allein der Besitz jener - und sie ist gewiss das Geburtsrecht dieser Menschen - die zum Kreuz gekommen sind, weil sie die Trennung von Gott erkannt haben, mit dem tiefsten Verlangen, dass die Gemeinschaft mit ihm wiederhergestellt werden soll, und mit dem Eingeständnis, dass die Sünde die Ursache war. Indem sie so auf den gekreuzigten als auf den Anfänger und Vollender ihrer Errettung blickten, entdeckten sie, dass er mehr als nur ein Mensch war, selbst als ein Mensch in seiner höchsten Form. Sie entdeckten, dass in ihm - und in ihm allein - Gott zu finden war.

Dann aber funktioniert es auch in die umgekehrte Richtung. Können wir uns vorstellen, was Saul von Tarsus gefühlt haben musste - er, der geglaubt hatte, Jesus von Nazareth sein bloß ein Mensch gewesen und zudem ein Betrüger unter den Menschen, und dass er als Verbrecher und Lästerer hingerichtet worden sei - als er auf dem Weg nach Damaskus erkannte, dass dieser Verherrlichte und Erhöhte Gottes ewiger Sohn war? Er benötigte einige Zeit in Arabien, die Konsequenzen davon zu verarbeiten und seine ganze Sicht revolutionieren zu lassen.

Wenn wir erkennen, wessen Kreuz das war, dann rückt dies das Kreuz weit über alle menschlichen Vorstellungen von «für irgend welche Ideal sterben», «einen heroischen Tod für eine große Sache» und über alle ähnlichen, vollständig unangemessenen Interpretationen des Todes Christi hinaus.

«Den Fürsten des Lebens habt ihr getötet» (Apg. 3,15) war die Anklage, welche die Apostel vor die Tür der Juden gelegt hatten.

So kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück. Das Kreuz ist nötig, um wirklich zu erkennen, wer Jesus ist; und wenn wir ihn wahrhaftig durch das Kreuz sehen, dann sehen wir auch, wie groß, wunderbar, heilig und schrecklich dieses Kreuz ist.

Kein Wunder, dass Satan stets versucht hat, etwas von seiner wesentlichen Person wegzunehmen und ihn zu etwas Geringerem zu machen! Kein Wunder, dass er so konsequent versucht hat, das Kreuz seiner wahrsten Bedeutung zu berauben. Mögen alle, die irgend eines dieser Dinge tun, erkennen, woher ihre Inspiration oder ihre Blindheit kommt, und wer es ist, mit dem sie - wenn auch unabsichtlich - verbündet sind.

Mögen doch die Christen ebenfalls erkennen, dass alle Feindschaft, jeder Mangel an Liebe, Trennungen, und Streit, alle Vorurteile, alles Misstrauen und alle geistliche Blindheit, mit allem geistlichen Tod nur darauf zurückzuführen ist, dass das Kreuz nicht richtig wahrgenommen worden ist. Irgendwo hält ungekreuzigtes Fleisch die Stellung. Es ist unmöglich, ein wahrhaft gekreuzigter Mann oder eine Frau zu sein, und gleichzeitig persönliche Interessen zu verfolgen oder mit andern Kindern Gottes uneins zu sein, d.h. ohne Liebe für sie. Die entscheidende Grundlage des Lebens, des Lichts und der Liebe - was nichts anderes ist als Christus in seiner vollständigen Erscheinung - ist das Kreuz als als eine wirksame Realität im Bereich der alten Schöpfung, und die Auferstehungskraft Christi in der neuen.

All das heißt in andern Worten nichts anderes, als dass das Kreuz Christi uns in eine lebendige Vereinigung und Einheit mit Gott bringt, und wenn wir bloß in der vollen Bedeutung und im vollen Wert dieser Vereinigung leben würden, würden wir lebendige Briefe Christi in Form von Leben, Licht und Liebe sein. Ein Versagen in diesen Punkten bedeutet, dass wir irgendwo, und aus irgend einem Grunde, in unserer Gemeinschaft mit Gott in Christus versagt haben. Das Maß unseres Wandels mit ihm wird das Maß dieser drei Gesichtspunkte von Christus sein.

In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.