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Leiterschaft

von T. Austin-Sparks

Kapitel 1 - Einführung

«Weil Führer führten in Israel ... dankt dem Herrn» (Richter 5,2).

Während wenige Dinge mehr mit Schwierigkeiten, Gefahren und Verwicklungen befrachtet sind als Leiterschaft, gibt es wenige Dinge, die entscheidender und notwendiger wären. Die Tatsache der Leiterschaft benötigt keine Argumente. Sie ist die eigentliche Natur der Dinge. Jede Situation von ernster und kritischer Natur, die auftreten könnte, findet ihre Lösung durch das spontane Hervortreten des Geistes der Führerschaft in jemandem, oder sie wird zu einem Desaster, weil gerade er fehlt. Sobald eine Not eintritt, sind die Leute entweder gelähmt und hilflos, weil niemand da ist, der die Führung übernimmt, oder sie werden in die Aktion getrieben und im Vertrauen gestärkt durch die richtige Art von Leiterschaft.

Doch zeigt dieser Faktor nicht nur in Notsituationen seine Wichtigkeit. Sowohl in irgend einem Unternehmen, einer Mission oder einem Dienst, und in jedem Bereich von Verantwortung zeigt sich dies – es ist ein elementares Prinzip – unweigerlich von selbst. Wir haben viel zu sagen hinsichtlich seiner Natur, seiner Sphäre, seines Zweckes, doch ist es zuallererst wichtig, dass wir anerkennen und akzeptieren sollten, das Leiterschaft eine Tatsache in der eigentlichen Anlage des Lebens und des Lebenszweckes ist. So ist von Anfang an gewesen, und – im Prinzip, nicht der Form nach – hat es in jedem Bereich so funktioniert, nicht zuletzt in der Gemeinde.

An seinem rechten Ort, in seinem Bereich und in der richtigen Beziehung ist sie ein Muss; nur Chaos, Verwirrung und Frustration liegen vor, wo der Geist der Leiterschaft fehlt. Tatsächlich – selbst wenn das Gegenteil vorzuliegen scheint – ist er irgendwie vorhanden, wenn die Dinge noch nicht vollständig stagniert oder heruntergewirtschaftet sind.

Bei allem Verlangen und Bestreben in der Welt, die einzigartigen und alleinigen Rechte Christi und des Heiligen Geistes in der Gemeinde zu wahren glauben wir dennoch, dass es einen entscheidenden Platz und eine Notwendigkeit gibt für Leiterschaft gibt, die dem Herrn unterworfen und unterstellt ist. Zudem glauben wir, dass dies nicht außerhalb irgend einer Ordnung, sondern in der göttlichen Ordnung sein soll.

Der Platz und die Funktion eines Hirten in der Bibel ist es, voran zu gehen, und der Schafe, hinterher zu folgen. Der Herr ist in der Tat der Haupthirte, aber es gibt auch Hirten in der Gemeinde, und diese müssen führen. Während Jakobus, Johannes und Timotheus Apostel der Gemeinden waren, waren sie auch als solche anerkannt, die besondere Verantwortung in einer örtlichen Gemeinde hatten. Sollte dies in jedem Fall als zutreffend bewiesen werden, dann muss es akzeptiert werden als: 1. Ausdruck einer gewissen persönlichen Leitungsaufgabe, und 2. nicht notwendigerweise eine Verletzung der Hauptesstellung Christi, der Souveränität des Heiligen Geistes, oder der gemeinschaftlichen Natur der örtlichen Gemeinde. Würde man anders argumentieren, so hieße dies, zu sagen, dass es unmöglich sei, eine gemeinschaftliche Körperschaft von verantwortlichen Männern zu haben, die untereinander eine Salbung zur Leiterschaft anerkennen – und diese auch respektieren – ohne dabei unter autokratische Unterdrückung zu geraten. Während wir aufs höchste gegen Autokratie angehen, bestehen wir ebenso stark darauf, dass Leiterschaft selbst unter verantwortlichen Brüdern richtig ist, vorausgesetzt, dass es sich offensichtlich um eine gesalbte Leiterschaft handelt von der Art, die von Gott anerkannt worden ist...

Wie es stets zu sein pflegt, wird das Positive in seiner wahren Bedeutung durch die Opposition offenbar, der es sich gegenübersieht. Wir brauchen nur die leitende Funktion von Männern wie Adam, Moses, Josua, Gideon, Nehemia, Paulus und hundert anderen zu betrachten, um den intensiven und vielseitigen Widerspruch zu verstehen, dem sie begegneten. Natürlich ist der Herr Jesus als der «Feldherr unseres Heils», d.h. «der Anführer» die überragende Instanz. Zerbrecht, besiegt, betrügt, verführt den Führer, und die Schlacht ist gewonnen – dann sind die Streitkräfte hilflos. Der Fokus der gegnerischen Aufmerksamkeit für die Leiterschaft ist ihr eigenes Zeugnis für ihre Wichtigkeit.

Wenn wir uns also der Frage nähern, was Leiterschaft ist, müssen wir zuerst etwas dazu sagen, was sie nicht ist. Leiterschaft steht (im Werk Gottes) nicht in erster Linie auf natürlichem Grund. Sie ist nicht – an erster Stelle – eine Frage der Persönlichkeit, der natürlichen Fähigkeit, Bestimmtheit, des Enthusiasmus, der Anmaßung, der Kraft von Verstand oder Willen. Ein Prahler ist kein Führer. Ein Leiter im Werk Gottes wurde nicht in Schulen oder Akademien ausgebildet oder gemacht. Das mag im Werk der Welt der Fall sein, doch behandeln wir hier die geistliche Leiterschaft. Viele natürlichen Dinge, ob geerbt oder erworben, können – oder auch nicht – später hilfreich sein, doch sind Gottes Leiter im Wesentlichen nicht Leiter wegen bestimmter natürlicher Qualifikationen.

Was immer im natürliche Bereich zutreffen mag oder nicht, Tatsache ist, dass Gottes Leiter von Ihm ausgewählt wurden. Sie und auch andere mögen stets viele Fragen um das Warum aufwerfen, doch ist diese Tatsache bestimmend. Nur Gott weiß warum! Wenn Gott dies tut, dann haben die Menschen entweder damit zu rechnen und es zu akzeptieren, oder, falls sie es ablehnen, geben sie sich außerhalb von Gottes Billigung. Dies trifft sehr genau auf die Bibel zu, wie wir gleich sehen werden.

Was wir soeben gesagt haben, bedeutet nicht, dass Leiter nicht gewisse Qualitäten haben. Sie gehen bei Gott in , und in dieser harten Schule werden ihnen die benötigten Qualitäten eingeschärft. Ein weiterer allgemeiner Punkt bei Leitern, die von Gott ausgewählt wurden, ist der, dass sie, obwohl sie menschlich sind, in mancher Hinsicht doch eine Klasse für sich darstellen. Sie sind Pioniere, und Pioniere sind in mehr als einer Hinsicht einsame Menschen. In einem gewissen Sinne sind sie schwierige Menschen. Ihr Standard und ihr Maß muss den andern voraus sein, und da es die menschliche Natur gewöhnlich nicht mag, gestört zu werden, sondern viel lieber den leichteren Weg wählt, ist der Pionier für die Leute oft ein bisschen zu viel. Er ist rastlos, nie zufrieden, stets drängt und treibt er vorwärts. Der Grundton seines Lebens ist «Lasst uns voran gehen». Er verkörpert nicht den leichten Weg, und weil eben die menschliche Natur den leichten Weg möchte, ist der Leiter nicht immer populär. Die ganze Natur des Menschen tendiert entweder abwärts oder in Richtung eines ruhigen und glücklichen Durchschnitts und zur Selbstzufriedenheit. Der Pionier wird deshalb nicht immer geschätzt, sondern oft sehr viel anders taxiert. Er steht so im Gegensatz zu dieser mittelmäßigen Anziehungskraft. Ein Teil des Preises für Leiterschaft ist Einsamkeit.

Leiterschaft ist eine göttliche Notwendigkeit. Im Werk Gottes beruht echte Leiterschaft nicht auf der freien Wahl und dem Verlangen derer, die es betrifft. Oft entsteht sie gegen ihre Neigung oder ihren Wunsch, besonders wenn sie in Gottes «Disziplinschule» gewesen sind. Tatsächlich ist der Mensch, der ein Leiter sein möchte, der sich gewaltsam in diese Position drängt, der sie sich anmaßt, und der nicht lieber von ihr befreit werden möchte, eher eine Bedrohung. Es wird für alle deutlich werden, dass es hier mehr um den Mann als um den Herrn geht. Seine Leiterschaft – so wie sie praktiziert wird – wirkt gezwungen, künstlich, und es fehlt ihr die Salbung. Der von Gott erwählte Leiter ist ein «kann-nicht» Mensch, und dies in zwiefacher Hinsicht. Zuerst wird er – wie Moses und Jeremiah – echt fühlen und bekennen: «Das kann ich nicht». Doch andererseits weiß er auch, dass er gar nicht anders kann; es ist ein göttliches Drängen, ein Feuer in seinen Knochen, ein Trieb und eine Kraft, die nicht von ihm kommt. Während er seine Aufgabe erfüllt, mag er den Eindruck von persönlicher Stärke erwecken – vielleicht in Form von Effizienz oder gar von Selbstbewusstsein – doch kennen er und Gott die Tiefe seiner geheimen Geschichte: das überwältigende Bewusstsein der Bedürftigkeit und der Abhängigkeit, das Wahrnehmen der Begrenztheit, und die verheerende Realisierung des Versagens und der Schwäche.

Leiter kennen tiefere Tiefen als andere, und ihr Kampf mit der Verzweiflung an sich selbst ist akuter. Doch es ist ein Teil ihrer Leiterschaft und ihrer Verantwortung, dass sie ihre eigenen Leiden und ihren eigenen Kummer verbergen. Wie Ezechiel und Hosea müssen sie ihr Gesicht salben und in Zeiten tiefsten Kummers vor das Volk treten «wie bei anderen Gelegenheiten». Die Probleme dürfen nicht in ihre Stimme oder ihr Verhalten gelangen; geschieht das jedoch, dann ist ihr Einfluss dahin; denn wenn die Menschen in eine größere Fülle Christi eingehen sollen, dann ist Mut die überragende Eigenschaft, und genau dazu muss ein Leiter inspirieren. Seine kühnsten Auftritte vor den Menschen können sehr wohl die Zeiten seiner größten Leiden vor Gott sein. Sie wissen, dass sie ins «Unmögliche» verstrickt sind, doch – trotz ihrer selbst – sie sind (Gott) verpflichtet; und darum sind Kompromisse für sie undenkbar.

Während ich dies schreibe, ist mir das Buch «Das Werden eines Pioniers» von Misses Cable und French in die Hände gekommen, und darin wird in Bezug auf den Pionier diese Linie vertreten:

«Sie sind keine bequeme Klasse von Leuten, und sie stehen unter einem schwer zu verstehenden Drang, indem der Einfluss einer drängenden Kraft sie vorantreibt zu weiteren Anstrengungen und sie in das hineinführt, was andere Menschen «unmögliche Situationen» nennen. «Für eine Pionierarbeit bestimmt» ist ein Ausdruck, der eigentlich eine Karrikatur des wirklichen Sachverhaltes darstellt, denn keiner kann «Pionier» genannt werden, bevor er nicht bewiesen hat, dass er einer ist. Der Pionier wird vom Himmel ordiniert, und nicht von Menschen bestimmt».

Es liegt in der eigentlichen Natur echter, geistlicher Leiterschaft, dass der Leiter aufgrund der Erfahrung in seinem eigenen Wesen dasjenige hat, zu dem er andere hinführen möchte. Er ist den Weg voraus gegangen. Er hat selber gekostet, was er gedenkt kosten zu lassen. Er ist kein Buch-Führer; was er anderen sagt und wozu er andere drängt, stammt unter hohen Kosten aus seinem eigenen Leben. Der künstliche Leiter kann die extravagantesten Dinge sagen, er kann die ganze Theorie vermitteln und alle Verhaltensweisen vorgeben, und er kann damit leben, dabei kennt er wenig oder gar nichts vom echten Herzzerbrechen (das hinter der Realität steckt). «Der Ackerbauer, der sich mit der Arbeit müht, hat den ersten Anspruch auf die Früchte» (2. Tim. 2,6), sagte Paulus, aber, wenn sich dies auch auf die Belohnung für die Mühe bezieht, so trifft es ebenso auf die Kosten zu.

Wenn wir in Bezug auf jene spezielle Klasse von Pionier-Leitern in geistlichen Dingen gesagt haben, müssen wir darauf hinweisen, dass, selbst wenn wir uns nicht unter sie zählen können, ihr und ich trotzdem Leiter sein sollten, und zwar in dem Sinne, dass wir andere inspirieren und sie anspornen, mit dem Herrn «voranzugehen». Auch wenn wir selbst Nachfolger sind, gibt es stets andere, die von uns beeinflusst werden können, und das eigentliche Wesen einer Leiterschaft ist Inspiration. Möchten wir doch alle in diesem Sinne Leiter sein. Nachdem wir nun diese Angelegenheit der Leiterschaft auf mehr oder weniger allgemeine Weise eingeführt haben, können wir uns nun daran machen, uns die Sache etwas genauer anzusehen, um aus Beispielen aus der Bibel die Grundsätze zu lernen, die ihr zugrunde liegen, und die charakteristischen Merkmale, die sie kennzeichnen.

Bevor wir zu unserem ersten großen Beispiel kommen, wollen wir die beiden allgemeinen Faktoren in einer geistlichen Leiterschaft betonen:

Der eine ist die Tatsache der souveränen Tat. Bei seiner Auswahl von Menschen zu einer spezifischen Verantwortung handelt Gott aufgrund Seines absoluten Rechtes und Seiner Unabhängigkeit Seiner eigenen Souveränität. Niemand darf Seine Tat, Sein Urteil, Seine Gründe in Frage stellen. Souveränität ist unvorhersagbar. Gott ist niemandem Rechenschaft schuldig, Er ist auch niemandem gegenüber verantwortlich. Seine Gedanken und Seine Wege sind unergründlich, und in Seiner Weisheit wartet Er weit über Seine Taten hinaus, bis Er Vergeltung übt. Aber letzten Endes wird es immer vergolten. Der zweite Faktor ist der, dass Gott sich stets mit einem Gefäß ver – mit einem menschlichen Gefäß – und dieses Gefäß zu einem bestimmten Zweck mit Sich selbst. Das ist die Bedeutung der Salbung in beiden Testamenten. Eine Salbung, in der Gott sich dem Gefäß verpflichtet, ist stets mit einem Zweck verbunden, und man nicht dieses Gefäß berühren oder über sein Werk disputieren, ohne dass man – früher oder später, durch eine plötzliche Intervention der langsam mahlenden Mühlen Gottes – Gott gegenüber Rechenschaft ablegen muss. An diesem Punkt wird uns verboten, Gottes Instrument aufgrund seiner Menschlichkeit unabhängig von Gott zu beurteilen. Vielleicht glauben wir, dass sie einen Grund liefern für ein negatives Urteil, doch wenn Gott sie braucht und mit ihnen ist, bringt es uns nur in eine Kontroverse von Seiten Gottes uns gegenüber, wenn wir Seinen Gesalbten anrühren – sei es in Wort oder Tat. Die Bibel kennt viele solcher Vorfälle. Vorausgesetzt, das Gefäß verhält sich sanftmütig, wird Gott volle Verantwortung für seine Schwächen übernehmen und wird es rechtfertigen.

Nachdem wir das festgestellt haben, können wir nun weitergehen zum ersten Beispiel von Leiterschaft in der Bibel. Auch wenn das Prinzip der Leiterschaft von Anfang an wirksam war, so nahm sie doch erst volle Gestalt an, als es ein Volk gab, das sie brauchte und das darauf vorbereitet war. Dieser volle Ausdruck des Prinzips zeigte sich als erstes bei Moses.

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