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Geistliche Sicht

von T. Austin-Sparks

Kapitel 1 - Der Mann Mit den Geöffneten Augen

«Da enthüllte der Herr die Augen Bileams, und er sah den Engel des Herrn ... auf dem Weg stehen» (Num. 22,31)

«Es spricht Bileam, der Sohn Beors, und es spricht der Mann mit geöffneten Augen ... der niederfällt mit enthüllten Augen» (Num. 24,3-4)

«Und sie kommen nach Jericho. Und als er und seine Jünger und eine große Volks-menge aus Jericho hinausgingen, saß der Sohn des Timäus, Bartimäus, ein blinder Bettler, am Weg ... Und Jesus antwortete ihm und sprach: Was willst du, dass ich dir tun soll? Der Blinde aber sprach zu ihm: Rabbuni, dass ich sehend werde. Und Jesus sprach zu ihm: Geh hin, dein Glaube hat dich geheilt! Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm auf dem Weg nach» (Mk. 10,46.51-52)

«Und er fasste den Blinden bei der Hand und führte ihn aus dem Dorf hinaus, und als er in seine Augen gespien und ihm die Hände aufgelegt hatte, fragte er ihn: Siehst du etwas? Und er blickte auf und sagte: Ich sehe die Menschen, denn ich sehe sie wie Bäume umhergehen.Dann legte er wieder die Hände auf seine Augen, und er sah deutlich, und er war wiederhergestellt und sah alles klar» (Mk. 8,23-25).

«Und als er vorüberging, sah er einen Menschen, blind von Geburt ... und er sprach zu ihm: Geh hin, wasche dich in dem Teich Siloah... Da ging er hin und wusch sich und kam sehend ... Da antwortete er: Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht; eins weiß ich, dass ich blind war und jetzt sehe» (Joh. 9,1.7.25)

«dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst. Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung, was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen» (Eph. 1,17-18)

«rate ich dir, von mir im Feuer geläutertes Gold zu kaufen, damit du reich wirst, und weiße Kleider, damit du bekleidet wirst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deinen Augen zu salben, damit du siehst» (Offenb. 3,18)

«ihre Augen zu öffnen, dass sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Macht des Satans zu Gott, damit sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbe unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind» (Apg. 26,18) font-family:Verdana">

Ich denke, der Satz, den Bileam benutzt, kann sehr gut als Titel über unserer gegen-wärtigen Betrachtung stehen: «Der Mann mit geöffneten Augen».


Die Wurzelkrankheit unserer Zeit

Während wir den Zustand der Dinge in der Welt von heute betrachten, sind wir tief beeindruckt und bedrückt von der vorherrschenden Krankheit geistlicher Blindheit. Sie ist die Wurzelkrankheit unserer Zeit. Wir liegen nicht völlig falsch, wenn wir sagen, dass die meisten, wenn nicht gar alle Schwierigkeiten, an denen die Welt leidet, auf diese Wurzel zurückzuführen sind, nämlich auf die Blindheit. Die Massen sind blind; darüber besteht keinerlei Zweifel. In Tagen, die als Tage beispielloser Erleuchtung gelten, sind die Massen blind. Die Leiter sind blind, blinde Blindenleiter. Doch in einem recht großen Maße gilt dasselbe auch für das Volk Gottes. Ganz allgemein gesprochen sind die Christen heute sehr blind.

Ein allgemeiner Überblick über den Grund für geistliche Blindheit

Die Abschnitte, die wir gelesen haben, decken im Großen und Ganzen dem größten wenn nicht den ganzen Grund für geistliche Blindheit ab. Sie beginnen mit solchen, die nie sehen konnten, mit solchen, die blind geboren wurden.

Dann gibt es solche, die eine Vision bekommen haben, die aber nicht sehr viel sehen, die nicht sehr deutlich sehen - «Menschen, die wir Bäume umhergehen» - die dann aber, unter einem weiteren Werk der Gnade, noch vollkommener sehen lernen.

Dann sind da auch noch jene, die wahre und echte Sicht empfangen haben, wenigstens ein Stück weit, für die jedoch ein großer Bereich göttlicher Gedanken und Absichten noch immer auf ein volleres Werk des Heiligen Geistes warten. «Er gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst. Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung, was der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen und was die überragende Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, ist». Solche Worte werden an Menschen gerichtet, die eine Sicht haben, doch für die dieser große Bereich von göttlicher Bedeutung noch immer darauf wartet, dass sie ein volleres Werk des Heiligen Geistes in der Angelegenheit von geistlicher Sicht kennen lernen.

Dann wiederum sind da noch diejenigen, die eine geistliche Sicht gesehen und ihr gefolgt sind, die das aber wieder verloren haben, was sie einst besaßen, und die jetzt blind sind, doch mit dem äußerst fatalen zusätzlichen Faktor: Sie glauben nämlich, sie seien sehend, sie sind blind gegenüber ihrer eigenen Blindheit. Das war die Tragödie von Laodizea.

Ferner gibt es da noch die beiden Klassen, die durch Bileam und Saul von Tarsus repräsentiert werden, die wir zitiert haben. Bileam, vom Gewinn bzw. die Aussicht auf Gewinn geblendet. Ich nehme an, dass im Neuen Testament mit der Wendung «den Weg Bileams» dies gemeint ist.; dass jemand so sehr mit der Frage nach Gewinn und Verlust beschäftigt ist, dass er blind ist für die großen Gedanken und den großen Vorsatz Gottes, dass man den Herrn auf dem Wege nicht beachtet und durch seine Blindheit haarscharf daran vorbei kommt, unterwegs erschlagen zu werden. Die Aussage ist dort sehr eindeutig. Bileam sah den Herrn nicht, bis der Herr ihm die Augen öffnete, dann sah er Ihn. «Der Engel des Herrn», so wird es formuliert. Ich habe keine Zweifel, dass es sich dabei um den Herrn selbst handelte. Dann sah er. Dann machte er die doppelte Aussage in dieser Sache - «der Mann mit geöffneten Augen», «der niederfällt mit enthüllten Augen». Das ist Bileam, ein Mensch, der von Überlegungen von persönlichem Charakter, von persönliche Natur, geblendet ist, von der Frage, wie die Dinge ihn persönlich berühren. Darauf läuft es doch hinaus. Und welch blendende Sache ist es doch, wenn es sich um geistliche Dinge handelt. Sobald wir, ihr oder ich, wir bei dieser Frage stehen bleiben, sind wir in sehr großer Gefahr. Sobald wir auch nur einen Augenblick lang zulassen, dass wir uns von Fragen wie diesen beeinflussen lassen, wie das wohl mich selber berühren wird, was mich dies kosten mag, wie kann ich aus der Sache herauskommen oder was werde ich dadurch verlieren?, dann wird das der Moment sein, da die Finsternis von unseren Herzen Besitz ergreift und wir den Weg Bileams beschreiten.

Dann haben wir aber auf der andern Seite auch Saul von Tarsus. Es besteht kein Zweifel bezüglich seiner Blindheit; doch das war die Blindheit seines religiösen Eifers, seines Eifers für Gott, seines Eifers für die Tradition, seines Eifers für die historische Religion, seines Eifers für das, was in der religiösen Welt etabliert und akzeptiert worden ist. Es war ein blinder Eifer, von dem er später sagen sollte: «Ich meinte freilich bei mir selbst, gegen den Namen Jesu, des Nazoräers, viel Feindseliges tun zu müssen» (Apg. 26,9). «Ich meinte... tun zu müssen». Welch gewaltige Wende bedeutete es doch, zu entdecken, dass die Dinge, die er glaubte, tun zu müssen, um Gott zu gefallen und sein eigenes Gewissen zu befriedigen, aufs äußerste und diametral Gott und dem Weg der Gerechtigkeit und Wahrheit entgegen standen. Welche Blindheit! Gewiss steht er für alle von uns vor uns als eine bleibende Warnung, dass Eifer für irgend etwas nicht notwendigerweise ein Beweis dafür ist, dass die Sache richtig ist, und dass wir uns auf dem rechten Weg befinden. Gerade unser Eifer kann, in sich selbst, etwas sehr Blendendes sein, unsere Hingabe an die Tradition kann unsere Blindheit sein. Ich meine, Augen haben in Paulus’ Leben ein sehr großen Platz. Als seine Augen geistlich geöffnet waren, waren seine natürlichen Augen geblendet, und ihr könnt dies als Sinnbild verwenden. Wenn wir in religiöser Hinsicht unsere natürlichen Augen zu stark brauchen, kann dies ein Indiz dafür sein, wie blind wir sind, und es kann sein, wenn diese natürlichen Augen in religiöser Hinsicht geblendet werden, wir anfangen etwas zu sehen, und erst wenn es so ist, werden wir auch etwas sehen. Für die meisten Leute ist das, was ihr wahres Sehen verhindert, die Tatsache, dass sie zu viel und in der falschen Richtung sehen. Sie sehen mit den natürlichen Sinnen, mit den Fähigkeiten der Vernunft, des Intellekts und der Bildung, und all das steht ihnen im Weg. Paulus steht da, um uns zu sagen, dass es manchmal, um wirklich sehen zu können, notwendig ist, geblendet zu werden. Offensichtlich hat dies ihn gezeichnet, so wie der Finger des Herrn Jakob für den Rest seiner Tage gekennzeichnet hat. Er ging nach Galatien und schrieb später den Brief an die Galater; und ihr erinnert euch, dass er sagte: «Ich bezeuge euch, dass ihr, wenn möglich, eure Augen ausgerissen und mir gegeben hättet» (Gal. 4,15). Damit meinte er, dass sie seine Drangsal beachtet hatten, dass sie das Kennzeichen wahrgenommen hatten, das von der Damaskusstraße an ihm haften geblieben war, und dass sie so für ihn empfanden, dass sie, wenn sie es hätten tun können, sogar ihre Augen für ihn ausgerissen hätten. Und es ist wunderbar, dass der Auftrag, der ihn natürlicherweise auf der Straße nach Damaskus erreichte, sich ganz um die Augen drehte. Er war blind, und sie mussten ihn an der Hand nach Damaskus führen; doch der Herr hatte in jener Stunde gesagt: «zu denen ich dich senden werde, um ihre Augen zu öffnen, damit sie sich von der Finsternis zum Licht und von der Macht Satans zu Gott bekehren».

Nun, diese alle haben ihre eigene Botschaft an uns, doch sie reden recht allgemein von der geistlichen Sicht. Natürlich gibt es da viele Details, doch im Augenblick wollen wir diesen nicht nachspüren; wir wollen mit dieser allgemeinen Betrachtung weiterfahren.


Geistliche Sicht – stets ein Wunder

Wenn wir den Grund auf ganz allgemeine Weise abgedeckt haben, kehren wir dahin zurück, dass wir in jedem Fall einen besonderen und eigenartigen Gesichtspunkt feststellen, nämlich, dass geistliche Sicht stets ein Wunder ist. Diese Tatsache birgt die ganze Bedeutung vom Kommen des Sohnes Gottes in diese Welt in sich. Die Rechtfertigung für das Kommend es Herrn Jesus Christus in diese Welt findet sich im Wort Gottes; denn es ist eine feststehende Tatsache bei Gott selbst, dass der Mensch blind geboren wird. «Ich bin als Licht in die Welt gekommen» (Joh. 12,46); «Ich bin das Licht der Welt» (Joh. 9,5); und diese Aussage wurde, wie ihr wisst, gerade in jenem Abschnitt des Johannesevangeliums gemacht, wo der Herr Jesus mit der Blindheit verfährt. «Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt», und Er illustriert dies, indem Er den blind geborenen Mann heilt.

So ist geistliche Sicht jedes Mal ein Wunder vom Himmel, und das bedeutet, dass der, der geistlich wirklich sieht, ein Wunder als Grundlage seines Lebens besitzt. Sein ganzes geistliches Leben entspringt einem Wunder, und es ist das Wunder, dass Augen, die noch nie gesehen haben, nun sehen können. Genau hier beginnt das geistliche Leben, hier nimmt das christliche Leben seinen Anfang: wenn wir zu sehen beginnen.

Und wer immer predigt, muss dieses Wunder in seiner Geschichte haben, und er selbst hängt vollständig von diesem Wunder ab, indem es im Falle jedes Einzelnen, der ihm zuhört, wiederholt wird. In diesem Punkt ist er deshalb so hilflos und so töricht. Vielleicht finden wir gerade darin, in gewissem Sinne wenigstens, die «Torheit der Predigt». Ein Mann mag etwas gesehen haben, und er mag predigen, was er gesehen hat, doch keiner, der ihm zuhört, hat gesehen oder sieht etwas; und so sagt er zu den Blinden: Seht!, und dennoch sehen sie nicht. Er ist vollständig abhängig vom Heiligen Geist Gottes, dass er kommt und, hin und wieder, ein Wunder bewirkt. Solange dieses Wunder nicht bewirkt wird, ist sein Predigen vergeblich, was den erwünschten Effekt betrifft. Ich weiß nicht, was ihr sagt, wenn ihr in eine Versammlung kommt und euer Haupt im Gebet neigt, aber hier ist ein Vorschlag für euch. Es mag das präsent sein, was einem Wunder entstammt in dem, der es in seiner Predigt oder in seiner Belehrung vorbringt, und dennoch entgeht es euch vollständig. Mein Vorschlag ist also der, dass ihr immer und stets den Heiligen Geist bittet, dieses Wunder in euch zu dieser Stunde aufs Neue zu bewirken, damit ihr sehen mögt.

Doch wir gehen weiter. Jedes Stück neuen Sehens ist ein Werk vom Himmel. Es ist nicht etwas, das ein für allemal geschieht. Es ist möglich, dass wir sehen weitergehen und immer neue Dinge sehen und noch vollständiger sehen lernen, doch mit jedem frischen Wahrheitsfragment, muss dieses Werk, das nicht in unserer Macht steht, dass es geschieht, aufs Neue geschehen. Das geistliche Leben ist nicht nur bei seinem Start ein Wunder; es ist ein fortgesetztes Wunder in dieser Angelegenheit bis zuletzt. Das ist es, was aus diesen Abschnitten, die wir gelesen haben, hervorgeht. Ein Mann mag berührt worden sein, und, während er vorher blind war und nichts sehen konnte, sieht jetzt; doch sieht er nur ein bisschen, sowohl was das Ausmaß als auch die Reichweite betrifft, und er sieht unvollkommen. Da ist noch ein gewisses Maß von Verzerrung bei seiner Vision vorhanden. Eine weitere Berührung vom Himmel ist nötig, damit er alle Dinge richtig und vollkommen sehen kann. Aber selbst dann ist die Sache noch nicht zu Ende, denn Leute, die die Dinge innerhalb dieses Maßes richtig und vollkommen sehen, haben noch die Möglichkeit von Gott, Dinge in noch viel größeren Reichweiten zu sehen. Aber immer ist ein Geist der Weisheit und Offenbarung erforderlich, um dies zu bewirken. Auf dem ganzen Weg kommt es vom Himmel. Und wer möchte es auch anders haben, denn ist es nicht genau das, was einem echten geistlichen Leben seinen wahren Wert gibt – dass für immer in ihm dieses wunderhafte Element erhalten bleibt?


Die Wirkung des Verlustes der geistlichen Sicht

Dann kommen wir zu diesem abschließenden Wort. Die geistliche Sicht zu verlieren bedeutet, das übernatürliche Charakteristikum des geistlichen Lebens zu verlieren, und das führt zum laodizeischen Zustand. Wenn ihr ins Herz dieser Sache, dieses Zustandes vordringen möchtet, der von Laodizea repräsentiert wird, also weder kalt noch heiß, des Zustandes, der den Herrn reizt, zu sagen: «Ich werde dich aus meinem Munde ausspeien» - wenn ihr ins Herz dieser Angelegenheit vordringen und sagen möchtet: Warum ist das so? Was liegt dahinter?, dann ist das Eine, das es erklärt, schlicht dies: dass es sein übernatürliches Merkmal verloren hat, es ist auf die Erde herunter gekommen; es ist zwar noch religiös, doch es hat seinen himmlischen Platz verlassen. Und dann, seht ihr, bekommt ihr den entsprechenden Rückschlag an die Überwinder in Laodizea: «Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen». Ihr seid einen langen Weg zur Erde hinab gegangen, ihr habt euer himmlisches Erkennungszeichen verloren, doch für Überwinder mitten unter solchen Bedingungen gibt es oben immer noch einen Platz, was den Gedanken des Herrn hinsichtlich dieses Zustandes offenbart. Die geistliche Sicht zu verlieren bedeutet, das übernatürliche Merkmal des geistlichen Lebens zu verlieren. Wenn dies verloren gegangen ist, dann könnt ihr so religiös sein, wie ihr wollt, der Herr hat nur ein einziges Wort zu sagen – Kauft Augensalbe: das ist es, was ihr nötig habt.

Die Not der Stunde

Das bringt uns denn zur Not der Stunde, wobei diese Not natürlich die Not jeder Stunde, jedes Tages, jedes Zeitalters ist. Doch wird uns in unserer Zeit diese Not mehr und mehr bewusst gemacht – und in einem gewissen Sinne können wir sagen, es habe nie eine Zeit gegeben, in der die Notwendigkeit für ein Volk, das sagen konnte und sagen kann: Ich sehe! größer gewesen wäre als jetzt. Das ist es, was heute besonders nötig ist. Groß und furchtbar ist diese Not, und erst, wenn ihr begegnet worden ist, kann es irgend welche Hoffnung geben. Die Hoffnung hängt davon ab, dass sich da in dieser Welt, in dieser dunklen Welt der Konfusion, des Chaos, der Tragödie und des Widerspruchs, ein Volk erhebt, ein Volk, das zu sagen imstande ist: Ich sehe! Würde heute ein Mensch aufstehen, der die Position innnehat, Einfluss zu nehmen und beachtet zu werden, ein Mensch, der wirklich sieht – welch neue Hoffnung würde sich mit ihm erheben, welch neue Aussicht! Genau das ist nötig. Ob dieses Bedürfnis auf öffentlichem, nationalem oder gar internationalem Weg befriedigt wird, weiß ich nicht, doch dieser Not muss auf geistliche Weise durch ein Volk auf dieser Erde begegnet werden, das sich in dieser Position befinden, das wirklich sagen kann: «Ich sehe!»

Seht ihr, das Christentum ist weitgehend zur Tradition geworden. Die Wahrheit wurde in Wahrheiten aufgelöst und in ein Blaubuch gepackt, in das Blaubuch evangelikaler Doktrin, eine festgelegte und eingezäunte Angelegenheit. Dies sind die evangelikalen Lehrgrundlagen, sie ziehen die Grenzen evangelikalen Christentums in Predigt und Lehre. Natürlich werden sie in vielen und unterschiedlichen Formen präsentiert. Sie werden mit interessanten und attraktiven Anekdoten und Illustrationen angereichert, auch mit gesuchter Originalität und Einzigartigkeit, so dass die alten Wahrheiten nicht allzu offensichtlich in Erscheinung treten, sondern eine gewisse Chance haben, hinüber zu kommen wegen der neuen Aufmachung, in die sie gekleidet worden sind; und sehr viel hängt dann auch von der Fähigkeit und Persönlichkeit des Predigers oder Lehrers ab. Die Leute sagen: Ich liebe seinen Stil, ich schätze sein Auftreten, ich liebe die Art, wie er die Dinge sagt! – und vieles hängt davon ab; doch wenn einmal dieser ganze Putz abgestreift worden ist, diese Geschichten, die Anekdoten, die Illustrationen, und auch die Persönlichkeit und Fähigkeit des Predigers oder Lehrers – wenn das alles verschwunden ist, dann habt ihr ganz einfach wieder die alten Dinge, und dann kommen einige von uns daher und übertreffen den letzten Mann durch die Art, wie sie sie präsentieren, um einige Akzeptanz zu gewinnen, um Eindruck zu machen. Ich meine nicht, dies sei boshafte Kritik, denn darauf läuft es doch hinaus; und niemand soll glauben, ich verlange eine Änderung oder gar eine Aufgabe der alten Wahrheiten.

Doch was ich zu erreichen versuche, ist folgendes: Es geht nicht um neue Wahrheiten, es geht nicht um die Veränderung der Wahrheit, sondern es geht darum, dass solche da sind, die, wenn sie die Wahrheit präsentieren, von solchen erkannt werden, die als Menschen, die Sicht bekommen haben, zuhören: Und das macht den ganzen Unterschied aus. Nicht Menschen, die gelesen, studiert und sich vorbereitet haben, sondern Menschen, die etwas gesehen haben, die das an sich haben, was wir bei diesem Mann in Johannes 9 finden – das Element des Wunders. «Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht; eines aber weiß ich, dass ich blind war und nun sehen kann». Und ihr wisst, ob eine Person etwas gesehen hat oder nicht, ihr wisst, woher es kam und wie es kam; und genau das haben wir nötig: dieses Etwas, dieses undefinierbare Etwas, das sich als Wunder erweist, und ihr sagen müsst: Dieser Mann hat etwas gesehen, diese Frau hat etwas gesehen! Es ist dieser Faktor des Sehens, der den ganzen Unterschied ausmacht.

O ja, es geht um eine viel größere Sache, als wir, ihr und ich, bisher angenommen haben. Ich will es euch geradeheraus sagen: Die ganze Hölle hat sich gegen sie zu-sammengerottet, und der Mann, dessen Augen geöffnet wurden, wird die ganze Hölle gegen sich haben. Diesem Mann in Johannes 9 ist es sofort so ergangen. Sie warfen ihn (aus der Synagoge) hinaus, und selbst seine eigenen Eltern wagten nicht, sich auch seine Seite zu stellen wegen der Kosten. «Er ist alt genug, fragt ihn selbst». Ja, das ist unser Sohn, aber übt keinen weiteren Druck auf uns aus, zieht uns nicht in diese Sache hinein; wendet euch an ihn, macht es mit ihm aus und lasst uns in Frieden. Sie sahen ein Rotlicht, und darum wollten sie diesen Streitpunkt umgehen. Es kostet etwas, zu sehen, und es kann uns sogar alles kosten, wegen des immensen Wertes der Fähigkeit, den Herrn zu sehen, und auch im Blick auf Satan, den Gott dieses Zeitalters, der den Sinn der Gläubigen verblendet hat. Es geht um das Zunichtemachen seines Werkes. «Ich sende dich, um ihre Augen zu öffnen, damit sie sich von der Finsternis zum Licht, und von der Macht Satans zu Gott bekehren». Satan nimmt das nicht einfach hin, weder am Anfang, noch in jeder anderen Phase. Es ist etwas Ungeheuerliches, sehen zu können.

Oh, wie nötig haben wir heute Männer und Frauen, die geistlich in der Position stehen können, in der sich dieser Mann befand, und sagen können: «Ich war blind, doch jetzt sehe ich, und das weiß ich genau. Es ist etwas Großes, da zu sein. Wieviel, weiß ich nicht, eines aber weiß ich sicher: Ich kann sehen!» Das war vorher nicht der Fall. Es entsteht ein Eindruck, eine Registrierung davon. Licht und Leben gehen im Wort Gottes immer zusammen! Wenn ein Mensch wirklich sieht, dann ist Leben da, dann wird man emporgehoben. Wenn er euch etwas aus zweiter Hand anbietet, etwas Einstudiertes, etwas Gelesenes, etwas Aufgearbeitetes, dann ist kein Leben darin, höchstens vielleicht jenes kurzfristige und falsche Regen von Interesse, eine vorübergehende Faszination. Aber da ist kein echtes Leben, das die Leute lebendig macht.

So plädieren wir also nicht für eine Veränderung der Wahrheit oder wollen neue Wahrheiten hören, sondern für geistliche Einsicht in die Wahrheit. «Der Herr hat noch mehr Licht und Wahrheit, die aus Seinem Wort her vorkommen», das ist wahr. Lasst mich das loswerden, was uns hier angehängt wird, wenn ich kann. Wir trachten nicht nach neuen Offenbarungen, und wir sagen auch nicht, wir schlagen nicht vor und deuten keinesfalls an, dass ihr noch irgend etwas zusätzlich zum Wort Gottes haben könnt, sondern wir beanspruchen vielmehr, dass es eine riesige Menge im Worte Gottes gibt, das wir noch nie gesehen haben, und das wir sehen könnten. Gewiss stimmt dem jedermann zu: und es ist genau das – dass wir sehen lernen, und je mehr wir sehen, wirklich sehen, desto überwältigender ist das Gefühl in dieser Angelegenheit, denn ihr wisst, dass ihr zum Land ferner Distanzen gekommen seid, das weit jenseits der Kraft der Erfahrung einer kurzen Lebensspanne liegt.

Um zum Schluss zu kommen lasst mich wiederholen, dass in jeder Phase, vom Anfang bis zur Vollendung, das geistliche Leben dieses Geheimnis in sich bergen muss: Ich sehe! Schon ganz am Anfang, wenn wir wiedergeboren werden, sollte dies der spontane Ausdruck oder der Ausstoß im Leben sein. Unser Christenleben sollte dort beginnen. Doch auf dem ganzen Weg bis zur letzten Vollendung sollte es das sein, die Auswirkung dieses Wunders, so dass ihr und ich, dass wir in dieser Atmosphäre des Wunders bewahrt werden, und der Wunderfaktor wieder und wieder wiederholt wird, so dass jede frische Gelegenheit so ist, als hätten wir noch nie irgend etwas gesehen.

Doch möchte ich ebenfalls gleich anfügen, dass gewöhnlich ein neues Hereinbrechen des Geistes auf diese Weise der Verdunkelung all dessen folgt, was vorausgegangen ist. Es scheint, als sei es für den Herrn notwendig, so dass wir an den Punkt gelangen, dass wir hinausschreien: Wenn der Herr nicht etwas Neues zeigt, etwas Neues offenbart, wenn er nicht etwas Neues tut, so ist alles, was schon gewesen ist, wie nichts, es wird mich jetzt nicht retten! So führt er uns an einen dunklen Ort, in eine dunkle Zeit. Wir haben das Gefühl, dass das, was gewesen ist, seine Kraft, die es einst hatte, um uns kochend, triumphierend zu machen, verloren hat. Das ist die Art, wie der Herr uns dazu bringt, weiter zu gehen. Wenn Gott zuließe, dass ihr und ich, dass wir vollkommen zufrieden sind mit dem, was wir in irgend einer Phase erlangt haben, und uns nicht gestattete, dass wir die absolute Notwendigkeit fühlen wir etwas, das wir noch nie gehabt haben, würden wir dann weiter gehen? Natürlich nicht! Um uns am Weitergehen zu halten, muss der Herr jene Erfahrungen herbei führen, wo es für uns absolut notwendig ist, dass wir den Herrn sehen, dass wir den Herrn auf eine neue Weise kennen lernen, und das muss auf dem ganzen Weg so weitergehen bis ans Ende. Es mag eine Serie von Krisen des immer neuen Sehens sein, und weiteren Sehens, so wie der Herr uns die Augen öffnet, und wir wie nie zuvor imstande sind, zu sagen: Ich sehe! So geht es nicht um unser Studium, um unser Lernen, um unser Buchwissen, sondern um einen Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst, damit die Augen unseres Herzens erleuchtet werden, und es ist dieses Sehen, das ein Kennzeichen der Autorität herein bringt, das so sehr notwendig ist. Das ist das Element, der Gesichtspunkt, der heute erforderlich ist. Es geht nicht um das Sehen um des Sehens willen, sondern darum, sonder um ein neues Merkmal von Autorität herein zu bringen.

Wo ist heute die Stimme der Autorität? Wo sind diejenigen, die wirklich mit Autorität sprechen? Wir sehnen uns auf jedem Gebiet des Lebens schrecklich nach der Stimme der Autorität. Die Gemeinde verschmachtet aus Mangel an einer Stimme von geistlicher Autorität, aus Mangel an diesem prophetischen Merkmal – so spricht der
Herr! Die Welt selbst verschmachtet aus Mangel an Autorität, und diese Autorität ist bei denen, die gesehen haben. Es gibt weit mehr Autorität in dem Mann, der blind geboren wurde und jetzt sieht, in seinem Zeugnis – Eines weiß ich, dass ich blind war, jetzt aber sehen kann – als es in ganz Israel gab, mit der ganzen Tradition und Gelehrsamkeit Israels. Und könnte es nicht sein, dass dies das war in Bezug auf den Herrn Jesus, das solches Gewicht hatte, denn «er redete als einer, der Autorität hatte, und nicht wie die Schriftgelehrten» (Mt. 7,29). Die Schriftgelehrten waren die Autoritäten. Wenn irgend jemand eine Interpretation des Gesetzes benötigte, gingen sie zu den Schriftgelehrten. Wenn sie wissen wollten, welches die autoritative Position war, gingen sie zu den Schriftgelehrten. Doch Er redete wie einer, der Autorität hatte, nicht wie die Schriftgelehrten. Worin lag diese Autorität? Einfach darin, dass er in allen Dingen sagen konnte: Ich weiß! Nicht was ich gelesen habe, nicht was man mir gesagt hat, was ich studiert habe, nicht das ist mit Kraft ausgerüstet, sondern dies – Ich weiß! Ich habe gesehen.

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