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Das Ärgernis des Kreuzes

von T. Austin-Sparks

Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Jan-Feb 1932 Vol. 10-1. Originaltitel: "The Offence of the Cross". Diese Version bearbeitet und neu veröffentlicht in den Zeitschriften "Toward the Mark" Jan-Feb 1978. (Übersetzt von Manfred Haller)

«Ich aber, Brüder, wenn ich noch Beschneidung predige, warum werde ich noch verfolgt? Dann ist ja das Ärgernis des Kreuzes beseitigt» (Gal. 5,11)

Der Vers, aus dem dieser Titel stammt, suggeriert, dass, Paulus, hätte er nur weiter die Beschneidung verkündigt, er die Verfolgung hätte vermeiden und frei werden können vom unausweichlichen Ärgernis, das durch die Botschaft vom Kreuz entsteht. Es ist eine offensichtliche Tatsache, dass, wann immer das Kreuz des Herrn Jesus getreulich verkündigt wurde, es nicht nur einigen, Hoffnung und neues Leben gebracht hat, sondern vielen andern auch Schwierigkeiten bereitet hat. Wo immer diese Botschaft hingelangte, hat sie auch Widerspruch erweckt. Genauso wie sie in den ersten Tagen den Juden zu einem Ärgernis und den Griechen zu einer Absurdität wurde, so ist sie seither nicht nur von Menschen dieser Welt, sondern auch von vielen religiösen Leuten als unakzeptabel betrachtet worden.

Das ist eine Tatsache, obwohl das Kreuz zum populärsten Symbol wurde. Es gibt kaum eine Stadt in der Christenheit, wo nicht die Architektur, eine Kunstgalerie, Bibliotheken und Musikkonservatorien dem geheiligten Zeichen des Kreuzes einen bevorzugten Platz einräumen. Es ist daher ein Jammer, dass so vieles in der christlichen Verkündigung und Lehre sich entweder auf den «historischen Jesus» beschränkt, wodurch ein kreuzloser Christus präsentiert wird, oder dann auf eine Interpretation des Kreuzes, die viel weniger ist als diejenige der Schrift.

Doch besteht die durchgehende Botschaft der ganzen Bibel darin, dass das Kreuz Gottes Weg der Erlösung ist, Sein ausreichender und einziger Weg. Es ist ferner ebenso klar, dass dies die Botschaft gewesen ist, die Gott zur Errettung von vielen Menschen gesegnet hat. Sie war in den Tagen des Neuen Testamentes vorherrschend, und die Wiederherstellung und Wiederbetonung einiger entscheidender und wesentlicher Phasen dieses Kreuzes haben solche Bewegungen entstehen lassen, wie sie durch Namen wie Luther, Wesley, Whitefield, Moody, Spurgeon und vieler anderer von Gott geehrten Männern gekennzeichnet werden.

Bevor wir mit der Diskussion beginnen, warum das Kreuz stets ein Verursacher von Schwierigkeit und Ärgernissen gewesen ist, müssen wir klarstellen, dass damit nichts von der Heldenhaftigkeit und Ästhetik des Kreuzes weggenommen werden soll. Opfer, Leiden, selbstlose Hingabe, selbstvergessener Dienst zum Wohle von andern, das Erdulden der Strafe, wenn einer sich aktuellen bösen Dingen entgegenstellt – das alles sind romantische Elemente, die von der Öffentlichkeit sehr geschätzt werden. Es ist die tiefere Bedeutung, welche die Bibel dem Kreuz verleiht, die die menschliche Gegnerschaft hervorruft, und es mag nützlich sein, etwas davon genauer zu untersuchen.

1. Das Kreuz verurteilt die Welt

Im Kreuz Christi schuf Gott eine große Kluft zwischen der alten und der neuen Welt, eine Kluft, die nicht überbrückt werden kann. Zwei völlig unterschiedliche Systeme, Wertskalen, Beurteilungsstandards, Gesetzesordnungen stehen sich auf den beiden Seiten des Kreuzes gegenüber. Das System von jedem ist nicht nur völlig verschieden, sie sind unvereinbar und für immer einander entgegengesetzt. Das Kreuz erfordert eine absolute Kennzeichnung und Klärung der Interessen und Ziele, der Beziehungen und Ressourcen. Es zieht die letztgültige Grenzlinie zwischen den Geretteten und den Unerretteten, zwischen den Lebenden und den Toten.

Der Apostel Paulus sagte, durch das Kreuz Christi sei er «der Welt gekreuzigt» worden und die Welt sei ihm gekreuzigt worden. Das Wort Gottes erklärt mit Nachdruck, dass dieses Zeitalter böse ist, und dass «die ganze Welt im Argen liegt» liegt. Es sagt, dass die Methoden, die Motive, die Zielsetzungen, die Ideen und Vorstellungen der Welt alle im Gegensatz zu Gott stehen. Ferner bestätigt es, dass die Welt äußerst unfähig ist, weder Offenbarung darüber zu empfangen, was in Gottes Sinn ist, aus sich selbst heraus in das göttliche Bild hinein zu wachsen, sich echter Gemeinschaft mit Gott zu erfreuen oder sie auch nur wert zu schätzen, noch mit dem Privileg betraut zu werden, mit Gott zu kooperieren.

Solche Fähigkeiten und Beziehungen besitzen nur solche, deren Wiedergeburt sie von dieser gegenwärtigen Welt befreit hat. Es ist verständlich, dass die Welt die Verurteilung durch das Kreuz irritierend und inakzeptabel findet, und es ist zu befürchten, dass das Vorhandensein von «Weltförmigkeit» im Leben des einzelnen Christen und in der Gemeinde ein direkter Widerspruch zum wesentlichen Zweck des Kreuzes darstellt. Der Herr Jesus selbst beschrieb Sein eigenes Kreuz als «das Gericht über diese Welt» (Joh. 12,31). Diejenigen, die Ihm nachfolgen, müssen dieses Urteil akzeptieren, und damit werden sie konsequenterweise auch unter dem Ärgernis des Kreuzes zu leiden haben.

2. Das Kreuz kreuzigt das Fleisch

Das Wort Gottes erklärt, dass «unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt» worden sei (Röm 6,6), und, wenn «einer gestorben ist, so sind alle gestorben; und er ist darum für alle gestorben, damit sie nicht mehr sich selber leben, sondern Ihm» (2. Kor. 5,14-15). Was Gott betrifft, so wurde die Geschichte des gefallenen Menschengeschlechtes auf Golgotha beendet worden. Seither konzentrierte sich Gott ausschließlich auf die Neue Schöpfung. Es ist sinnlos, den Versuch zu wagen, irgend etwas vom Leben der alten Schöpfung in die neue herüber zu retten, denn Gott wird es nicht akzeptieren. Sowohl unsere menschlichen Fähigkeiten als auch unsere Schwächen; was wir unsere «bessere Seite» nennen als auch was wir als unsere schlechteste Seite betrachten; sowohl unsere Güte als auch unsere Schlechtigkeit sind samt und sonders in diesem Tod eingeschlossen. Darum werden wir aufgefordert, nicht mehr auf einer menschlichen, sondern auf der göttlichen Ebene zu leben. In uns selbst besitzen wir nichts, das für Gott akzeptabel wäre.

So oft ist es die Geltendmachung irgend eines menschlichen Elementes, irgend einer Ambition oder eines persönlichen Interesses, die das Werk Gottes in und durch uns paralysieren. Die Dinge so zu betrachten, dass nicht nur unsere Sünden, sondern wir selbst durch Christus ans Kreuz überliefert wurden, ist der einzige Weg, auf dem die Vorsätze Gottes durch unser Leben verwirklicht werden können. Es mag seltsam erscheinen, dass wir, während wir so oft unseren Mangel an geistlichem Wesen beklagen, dennoch so lange brauchen, bis wir das Urteil des Kreuzes über unser natürliches Leben akzeptieren. Wir finden es demütigend, dasselbe Verdikt über uns selbst anzunehmen, das über die Welt verhängt wurde, nämlich der Tod durch Kreuzigung. Dennoch gibt es keine andere Basis für ein wahrhaft geistliches Leben und Zeugnis: Das Kreuz muss in uns Tod bewirken, damit das Leben Christi freigesetzt und sich durch uns voll zum Ausdruck bringen kann. So mag es in einem gewissen Sinne zutreffen, dass auch der Christ sich dem Ärgernis des Kreuzes stellen muss. Nur dadurch, dass er die Kraft der Tatsache erkennt, dass er mit Christus gekreuzigt worden ist, kann er die Seligkeit des neuen Lebens erfahren. Wenn es wirklich nicht mehr länger «nicht mehr Ich» heißt, dann ist der Weg offen für die Erklärung: «sondern Christus lebt in mir» . Das Ziel ist herrlich, aber der Weg dahin ist der schmerzliche Weg des Kreuzes.

3. Das Kreuz wirft den Teufel hinaus

Hier berühren wir den tiefsten Grund für das Ärgernis, denn die Welt und das Fleisch sind nur die Instrumente oder Waffen, mit denen die große Hierarchie Satans ihren Zugriff und ihre Existenz als die kontrollierende Macht behauptet. Als Er auf das Kreuz zuging, sagte Christus: «Nun wird der Fürst dieser Welt hinausgeworfen» (Joh. 12,31). Als Paulus über die tiefe Bedeutung des Kreuzes reflektierte, sagte er, durch das Kreuz habe Christus «die Fürstentümer und Gewalten entwaffnet, sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert» (Kol. 2,15).

Es ist daher vollkommen natürlich, dass die große Hierarchie des Bösen auf jede Weise und mit jedem Mittel versucht, das Kreuz unwirksam zu machen. Durch den «blassen Entwurf der Gedanken» will sie die Botschaft des Kreuzes verwässern; indem sie die Methoden und den Geist dieser Welt in sie einführt, will sie die geistliche Vitalität der Gemeinde schwächen; dadurch, dass sie das Fleisch, das ich und den alten Adam anstachelt, versucht sie, Trennungen, Stress und Zerfall zu verursachen; oder indem sie mit den menschlichen Elementen in ihrer künstlerischen, ästhetischen, heroischen Seite ein großes Getue macht, wird sie blind für die Notwendigkeit der Wiedergeburt. Reputation, Popularität, die weltlichen Standards für Erfolg, stehen alle im Gegensatz zum Geist Christi, doch sind gerade sie die Attraktionen, durch die der Feind den Sinn vieler fesselt, manchmal sogar christliche Diener Gottes.

Wenn daher das Kreuz in seinem vollen Ausmaß des Sieges über die Welt, das Fleisch und den Teufel und der Befreiung von ihnen verkündigt wird, dann ist zu erwarten, dass die intelligenten Mächte des Bösen mit allen Mitteln versuchen und nichts unterlassen werden, um diese Botschaft zum Schweigen zu bringen, und sie werden jede Art von Ärgernis hervorrufen, das dem Kreuz zur Last gelegt werden kann. Kein Wunder wird diese Botschaft zurückgewiesen und entstellt, da sie ja Gottes Lösung für die Probleme des gefallenen Menschen ist. Die Kreuzigung ist ein hartes Ende; sie offenbart die äußerste Schärfe von Gottes Verwerfung alles dessen, was zur alten Schöpfung gehört. Für den Gläubigen jedoch ist das Kreuz, wie es im Evangelium dargestellt wird, die Kraft Gottes zur Errettung.

Zum Schluss lasst uns nicht vergessen, dass der Genuss des vollen Vorsatzes Gottes, die Erfahrung des Sieges und die lebendige Verbindung mit dem dem, der in Seiner Herrlichkeit auf dem Thron sitzt, in dem Maße uns gehört, als wir eins sind mit der Wirklichkeit des Kreuzes, wie es im Worte Gottes dargestellt wird. Vielleicht wird es für uns am besten in den Worten zusammengefasst: «Sie haben ihn überwunden um des Blutes des Lammes willen und durch das Wort ihres Zeugnisses, und sie haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tod
« (Offenb. 12,11).


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