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Die Notwendigkeit für ein neues Verständnis des Evangeliums

von T. Austin-Sparks

Zuerst veröffentlicht in den Zeitschriften "A Witness and A Testimony", Mai-Jun 1943, Vol. 21-3. Originaltitel: "The Need For A New Apprehension Of The Gospel". (Übersetzt von Manfred Haller)

Ich werde gleich für einen Augenblick aus meinem Herzen sprechen, denn ich habe das Gefühl, dass wir uns dieses Mal in einer sehr perplexen, und doch sehr bedeutsamen Situation befinden. In einem gewissen Sinne scheint es, als tue der Herr nicht sehr viel. Ich meine damit, dass es nicht sehr viele offensichtliche Bewegungen von Gott auf Erden gibt entlang der Linien, in denen wir hoffen, dass Gott sich bewegen möge. Auch meine ich nicht, dass er gar nichts tut, dass gar nichts im Gange ist. Ich glaube, dass etwas vorgeht, und zum Teil ist ein sehr echtes Werk Gottes im Gange. Doch, allgemein gesprochen, gibt es geistlich gesehen keine große Bewegung Gottes, die man von außen beobachten könnte. Es scheint, als seien solche Formen göttlicher Aktivität schon seit langer Zeit suspendiert worden.

Wir denken zurück an Wesley, oder gar an Moody, und sehen gleich, dass zu einer bestimmten Zeit eine ganze Galaxie großer Bibellehrer erweckt wurden. Wir haben all die Namen von Männern aus der vorausgegangenen Generation. Sie sind alle schon gegangen. Es gibt heute keine ähnliche Bewegungen, und es hat sie schon seit langer Zeit nicht mehr gegeben. Zudem hat sich die Situation so verändert, dass ich nicht glaube, falls all diese Männer heute zurückkehren würden, sie der Situation gerecht werden könnten. Etwas ist inzwischen geschehen. Die Situation hat sich nicht nur geändert, sie hat sich sogar sehr vertieft, und es ist notwendig geworden, dass sich etwas mehr ereignet als das, was in diesen vergangenen Generationen geschehen ist, etwas Mächtigeres und auch Tieferes. Die Notwendigkeit ist derart, dass eine ganz neue Ordnung von Gott erforderlich ist. Es gab sie natürlich in neutestamentlicher Zeit. Ich denke nicht an etwas Zusätzliches, soweit es das Neue Testament betrifft, aber ich frage mich doch sehr stark, ob diese ganze Angelegenheit nicht weitgehend ein neues Verständnis dessen erfordert, was das Evangelium ist.

Wir haben heute weltweit eine weit verbreitete Situation unter Christen, und diese ist absolut unbefriedigend; ich denke, die meisten Leiter und Verantwortlichen realisieren dies. Ich glaube, die Diener und Missionare sind sich bewusst, dass der Zustand der Bekehrten und der Christen völlig unbefriedigend und unangemessen ist. Es ist manchmal eine echte Frage, ob viele von ihnen überhaupt wirklich wiedergeboren worden sind. Das geistliche Leben des Volkes Gottes ist eine sehr oberflächliche Angelegenheit, allgemein gesprochen etwas recht Armseliges. Und sicher ist heute offenbar geworden, dass es der Gemeinde ganz allgemein nicht gelingt, sich in der Weltsituation bemerkbar zu machen und sie auf irgend eine Weise zu beeinflussen. Warum dieser scheinbare Zwiespalt, dieses Unterbinden jeglicher allgemeiner und beeindruckender Wirksamkeit, irgend einer Wirksamkeit, die der Situation angemessen wäre - so dass es scheint, Gott tue überhaupt nichts? Oh, ich glaube, dass er im Innern etwas tut, aber darüber spreche ich im Augenblick nicht. Warum herrscht diese Situation?

Nun, da sage ich: Ich frage mich, ob der Grund nicht darin liegt, dass wir ein ganz neues Verständnis des Evangeliums benötigen. Ich glaube, dass es tatsächlich die Forderung einer späten Stunde in diesem Heilszeitalter ist, ja, dass wir in diesem Heilszeitalter schon so weit gegen das Ende hin fortgeschritten sind, dass der Herr das bloß Elementare nicht mehr akzeptieren kann. Er muss das Reife haben, er muss das haben, was voller ist. Alles entlang der Linie einer Intensivierung, wie wir sie sehen, verlangt dies.

Wie hatte sich Gott entschlossen, das ganze Problem dieses Universums zu lösen nach dem Chaos und Ruin, die das Ergebnis von Satans Wirksamkeit, der Komplizenschaft der Menschen mit ihm und dem Eintritt der Sünde waren? Wie ging Gott vor, um mit dieser ganzen Situation zu verfahren? Indem er selbst in Menschengestalt und in der Gestalt der Sohnschaft herabstieg und ein neues Geschlecht von Wesen und Teilhabern seines göttlichen Lebens zeugte; nicht seiner Gottheit, sondern seines göttlichen Lebens, das teilhatte an seiner göttlichen Natur, und das als eine Familie zu seiner eigenen moralischen und geistlichen Reproduktion im Universum wurde.

Ich sage, das ist unendlich - darf ich das Wort Gottes benutzen? - unendlich raffiniert. Da liegt Weisheit darin, das ist profund. Es war nicht ein Wirken von außen als ein Versuch, eine eingebrochene Situation zu heilen und zu flicken; keinerlei objektive Behandlung der Angelegenheit; nein, er selbst kam in diese Situation herab - Gott Fleisch geworden, Gott geoffenbart im Fleisch in der Gestalt der Sohnschaft; das bedeutet, in Begriffen der Abstammung, nach seiner Art hervorzubringen. Das ist ein Geheimnis, das Gott durch Zeitalter und Generationen hindurch verborgen hielt. Gott hatte dieses Geheimnis.

Was ist das Evangelium? Es ist Jesus Christus, Gott, Fleisch geworden in der Gestalt der Sohnschaft, zur Herrlichkeit gelangt, um ein neues Geschlecht nach seiner Art zu erzeugen, um viele Söhne zur Herrlichkeit zu bringen. Das ist es, kurz gesagt. Oh, das ist viel mehr, als bloß die Sünden vergeben zu bekommen; das ist viel mehr als die Rechtfertigung durch Glauben. Das ist es auch, aber es ist unendlich viel mehr als das, denn alle andern Dinge sind darin eingeschlossen - das tiefe, tiefe innere Geheimnis Gottes, wie er schließlich in seinem ursprünglichen Vorsatz triumphieren wird. «Der Glaube», gemäß dem Neuen Testament, ist Sohnschaft, und es ist in Beziehung zur Sohnschaft als innerer, geistlicher Realität, zustande gebracht durch dieses Werk der Hervorbringung Gottes, dass er zum Grund für diesen ganzen Konflikt wird.

Ja, die Tatsache der Sohnschaft ist durch die neue Geburt gegeben, doch ist Sohnschaft mehr als nur die Geburt; Sohnschaft bedeutet Reife. Das Neue Testament zeigt so klar, dass die Fortsetzung zum Erwachsenenalter der Sohnschaft ebenso entscheidend und wichtig ist wie der Anfang der Sohnschaft. Das heißt, das Erreichen des geistlichen Erwachsenenalters des Volkes Gottes ist ebenso wichtig, wie es zur Wiedergeburt zu führen. An diesem Punkt ist der Zusammenbruch passiert.

Heute, und schon seit langem, haben die evangelikalen Leiter allen Nachdruck und das Hauptgewicht darauf gelegt, Menschen gerettet zu sehen. Daran sind sie mehr als an allem übrigen interessiert, und das ist die Richtung ihrer Hauptbeschäftigung. Mit welchem Ergebnis? Dass wir unter Christen einen höchst unbefriedigenden Zustand vorfinden, und dies zusätzlich angesichts der Tatsache, dass schon die Existenz des Neuen Testaments an sich der Beweis dafür ist, dass es ebenso wichtig ist, Menschen zu vollem geistlichem Wachstum zu führen, wie sie zur Neugeburt anzuhalten. Warum haben wir sonst das Neue Testament mit den Korintherbriefen, mit dem Galater-, Epheser-, Philipper-, Kolosserbrief und allen anderen Briefen, die sich mit dem Kampf des Glaubens beschäftigen und damit, die Gläubigen zum Erwachsenenalter zu führen? Jeder einzelne von ihnen ist ein Schlachtfeld. All diese Briefe sind Schlachtfelder, und sie alle beschäftigen sich nicht mit der Bekehrung der Unerretteten, sondern mit der Weiterführung der Geretteten - mit dem schrecklichen Kampf der Sohnschaft. Warum? Weil es nicht darum geht, dass Babies die Mächte der Finsternis in die Flucht schlagen, sondern erwachsene Gläubige. Die Gemeinde muss zur Reife gelangen.

So sagt der Apostel: «Als er hinaufstieg, hat er die Gefangenschaft gefangen geführt und den Menschen Gaben gegeben... und er gab einige als Apostel, einige als Propheten», und so weiter. Wozu? «Zur Perfektionierung der Heiligen... bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens... zum vollen Mannesalters, zur Vollgestalt der Fülle Christi» (Eph. 4,8.11-13). Die Einheit des Glaubens, die Fülle Christi. Seht ihr, das ist es, was ans Licht kommt. Es ist ebenso wichtig für den Samen oder die Familie oder den Leib, zum geistlichen Erwachsenenalter zu gelangen, als überhaupt wiedergeboren zu werden. Das Geheimnis des Evangeliums ist die Fülle Christi, und die neue Geburt ist davon nur der Anfang. Das ist das enthüllte Geheimnis, dieses Evangelium, und es ist auch der Anlass für den ungeheuren, pausenlosen Konflikt, ein kosmischer Konflikt mit Fürstentümern, Gewalten, Weltbeherrschern dieser Finsternis, geistlichen Mächten der Bosheit in den himmlischen Regionen (Eph. 6,12). Das ist der Punkt, wo der Kampf tobt.

Ihr Lieben, der Brennpunkt des Konflikts ist der geistliche Fortschritt der Kinder Gottes zum Erwachsenenalter, und der Feind versucht mit jedem Mittel, das zu verhindern. Er zielt die ganze Zeit mit jedem ihm zur Verfügung stehenden Mittel mitten ins Herz dieser Angelegenheit. Gott wird sein Ziel erreichen; er wird dazwischenkommen in seinem Sohn in der Gestalt der Sohnschaft, um seine Residenz in der Mitte derer aufzuschlagen, die von ihm geboren sind, und er wird unter ihnen heranwachsen, sein Maß in ihnen vermehren, bis sie schließlich, zur Einheit des Glaubens gebracht, eine gewaltige Verkörperung und Offenbarung von Gott selbst werden. Nicht in der Gottheit, aber in dem, was er geistlich und moralisch in diesem Universum ist - dem Bilde seines Sohnes gleichgestaltet, ein lebendiger Ausdruck der Gedanken Gottes - um sein Universum zu erfüllen. Dagegen geht der Feind vor, und jeder auch noch so kleine Schritt in dieser Richtung wird sofort aufs Korn genommen; das geistliche Wachstum wird ständig bekämpft. Er schlägt auf die Söhne Gottes ein.

Oh, dass wir doch einen neuen Augenschein von der immensen Bedeutung des Evangeliums gewännen, des Evangeliums hinsichtlich seines Sohnes Jesus Christus, Gottes Geheimnis! Ich verweile gerne bei diesem Punkt. Wenn ihr euch angesichts der Weltsituation hinsetzt und versucht, alles auszusortieren und eine Lösung dafür zu finden, dann übersteigt das bei weitem unsere Möglichkeiten; doch durch alle Zeitalter hindurch war Gott vollkommen ruhig über dieser ganzen Sache, über deren Ausgang. Er war imstande zu sagen: «Ich habe die Lösung zu dieser ganzen Sache, ich habe das ganze Problem gelöst, ich habe die Mittel in der Hand; am Ende wird meine Methode absolut erfolgreich sein!

Und das Geheimnis? Nun, es ist einfach dies: «Ich will selbst in der Gestalt der Sohnschaft hinabsteigen und durch Glauben ein neues Geschlecht hervorbringen, und dieses neue Geschlecht wird schließlich zu geistlicher Mannesreife heranwachsen; was ganz schlicht bedeutet, dass ich dann alles finden werde, dass ich allen Raum besetzen werde; es wird kein Raum mehr für irgend etwas anderes sein». Das ist das Ergebnis von jedem Christenleben. Es geht darum, ob Gott den ganzen Raum einnehmen kann oder nicht, oder ob wir ein bisschen davon beanspruchen. Die ganze Zeit geht es eigentlich nur darum.


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