Austin-Sparks.net

Prophetischer Dienst

von T. Austin-Sparks

Kapitel 3 - Eine Stimme, Die Man Verfehlen Kann

«Denn die, welche in Jerusalem wohnen, und ihre Obersten, haben diesen nicht erkannt und haben die Stimmen der Propheten, die an jedem Sabbat gelesen werden, durch ihren Urteilsspruch erfüllt» (Apg. 13,27).

Diese oben zitierte Stelle birgt eine Bedeutung in sich, die ein schönes Stück Geschichte umfasst, doch ihre direkte und unmittelbare Folgerung ist die, dass, wenn das Volk, das sie betrifft - die Bewohner von Jerusalem und deren Oberste - auf der Höhe der sehr vertrauten Dinge gewesen wären, dann hätten sie sich sehr anders verhalten, als auf die Art, wie sie es getan haben. Jede Woche, Sabbat für Sabbat, über viele Jahre hinweg, hörten sie, was vorgelesen wurde; doch am Ende handelten sie wegen ihrem Unvermögen, zu erkennen, was sie zu hören bekamen, auf eine Weise, die jenen Dingen völlig entgegengesetzt war, obwohl sie, indem sie so handelten, diese unter der Souveränität Gottes letztlich erfüllten.

Sicher ist dies ein Wort der Warnung. Es repräsentiert eine schreckliche Möglichkeit - wiederholt dasselbe zu hören, und doch seine Bedeutung nicht wahrzunehmen; sich auf eine Weise zu verhalten, die unseren eigenen Interessen völlig entgegensteht, wobei wir dadurch unseren eigenen Untergang bewirken, dabei hätte es auch ganz anders sein können.

Der Punkt ist der - es gibt eine Stimme in den Propheten, die man leicht verfehlen kann, eine Bedeutung, die man nicht erfasst, und dann sind die Ergebnisse für die betreffenden Leute verheerend. «Die Stimmen der Propheten»: Das deutet doch darauf hin, dass es da etwas gibt, das über die bloßen Dinge hinausgeht, die der Prophet sagt. Da ist eine «Stimme». Vielleicht hören wir den Klang, vielleicht hören wir die Worte, und doch hören wir die «Stimme» nicht; sie ist nämlich etwas zusätzlich zu dem, was gesagt wird. Das also wird hier festgestellt: Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr lesen die Menschen die Propheten laut, und das Volk, das dem Vorgelesenen zuhörte, hörte die Stimmen nicht. Es ist die STIMME der Propheten, die wir unbedingt hören müssen.

Wenn ihr durch das 13. Kapitel der Apostelgeschichte geht, könnt ihr erkennen, dass dieses kleine Fragment sich in einem entscheidenden Kontext befindet. Dieses Kapitel markiert zunächst eine Entwicklung. Hier in Antiochien gab es ein paar Männer, einschließlich Saulus, und der Heilige Geist sprach: «Sondert mir aus Barnabas und Saulus zu dem Werk, zu dem ich sie berufen habe». Das war eine neue Entwicklung, ein sich Hinausbewegen, etwas Weitreichendes, sehr Bedeutsames; aber ihr seid noch nicht bis zum Ende des Kapitels gelangt, und schon stoßt ihr auf eine neue Krise, die unausweichlich wurde, als an einem bestimmten Ort sich eine große Menge zusammenfand, und die Juden, die sich weigerten, dem Wort gehorsam zu sein, eine Revolte anzettelten. Die Apostel machten folgende Ankündigung: «Euch musste das Wort Gottes zuerst verkündigt werden; da ihr es aber von euch stoßt und euch selbst des ewigen Lebens nicht würdig achtet, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden» (V. 46); und als ihre Autorität zitierten sie einen Propheten (Jesaja 49,6): «Ich habe dich auch zum Licht für die Heiden gesetzt». Das waren Epochen in der Geschichte der Gemeinde; und die Juden wurden als Ganzes abgewiesen, während die Heidenvölker auf sehr bewusste Weise anerkannt und hereingebracht wurden, wegen dieser einen Sache - dass die Juden diese Propheten Sabbat für Sabbat gehört hatten, aber deren Stimme nicht vernahmen.

Große Dinge hängen davon ab, dass wir die Stimme hören. Das Unvermögen, sie zu hören, kann zu irreparablem Verlust führen. Sehr große Dinge haben sich in den Jahrhunderten seit der Zeit von Apostelgeschichte 13 in Bezug auf Israel ereignet. Ich habe nicht die Absicht, mich auf Fragen der Prophetie hinsichtlich der Juden einzulassen, doch mein Punkt ist der. Auf der einen Seite war es keine Kleinigkeit, zu versagen, die Stimmen der Propheten zu hören. Andererseits stellt ihr fest, dass die Heidenvölker frohlockten. Hier steht: «Als aber die Heiden dies hörten, wurden sie froh, und sie verherrlichten das Wort Gottes». Nun, auf beiden Seiten ist eine große Sache, es nicht zu schaffen, zu hören, was gehört werden könnte, gäbe es nur Ohren, die hören, und es ist eine ebenso große Sache, zu hören und Acht zu geben. Ich denke, dies ist ein genügend ernsthaftes Fundament und ein geeigneter Hintergrund, um unsere Aufmerksamkeit zu wecken.


Alttestamentliche Propheten im Neuen Testament

Wir wollen nun einen genaueren Blick auf diese Angelegenheit der «Stimmen der Propheten» werfen. Eine Tatsache von sehr großer Bedeutung ist die, dass die Propheten einen so großen Platz im Neuen Testament einnehmen. Ich frage mich, ob ihr bemerkt habt, wie groß dieser Platz ist. Ihr braucht wohl nicht daran erinnert zu werden, wie weitreichend sich die Evangelien auf die hauptsächlichen Propheten berufen, wie man sie nannte. «Damit erfüllt würde, was durch die Propheten gesprochen wurde...» - wie oft kommt doch schon allein diese Aussage in den Evangelien vor. Sie kam auf bei der Geburt des Herrn Jesus, und allein in diesem Zusammenhang werden die großen Propheten bei mehreren Gelegenheiten zitiert. Doch wenn ihr von den Evangelien in die Apostelgeschichte und die Briefe weitergeht, dann bewegt ihr euch weitgehend in das hinein, das man die kleinen Propheten nennt - nicht kleiner, weil sie etwas weniger wichtig wären als die übrigen, sondern weil die Aufzeichnung ihrer Schriften kleiner ist. Es ist ungeheuer beeindruckend und bedeutungsvoll, dass im Neuen Testament so ausgiebig von den kleinen Propheten Gebrauch gemacht wird; sie werden mehr als fünfzig Mal zitiert.

Propheten, Männer der Vision

Aus dieser allgemeinen Bedeutung ragen zwei Faktoren hervor. Einer betrifft die Propheten selbst: Warum haben sie einen so großen Platz im Neuen Testament? Nun, die Antwort darauf wird weitgehend eine andere Frage sein. Worauf weisen die Propheten hin? Sie sind die «Seher» (1. Samuel 9,9); es sind die Männer, die sehen, und die durch ihr Sehen für das Volk Gottes als Augen fungieren. Sie sind die Männer mit der Vision; und der große Platz, den sie im Neuen Testament einnehmen, zeigt daher gewiss an, wie wichtig geistliche Sicht für das Volk Gottes durch diese ganze Heilszeit hindurch ist. Natürlich, die eine andere Sache ist die Vision selbst, doch geht es mir nicht darum, jetzt von dem zu Reden, was die Vision war und ist - das mag mit andern Aspekten später folgen. Im Augenblick habe ich das Gefühl, dem Herrn gehe es um diesen Faktor - um die ungeheure Bedeutung der geistlichen Sicht, wenn das Volk Gottes seine Berufung erfüllen soll. Alles läuft einzig auf die Frage der Vision zur Berufung hinaus, und die Berufung wird nicht ohne Vision erfüllt werden.


Die Vision verleiht dem Leben Sinn

Wir wollen also eine Weile beim Stellenwert der Vision verbleiben - und ihr denkt hoffentlich nicht, ich rede von einem visionären Zustand. Nein, es geht um etwas Spezifisches, es geht um DIE Vision, um etwas klar Definiertes. Die Propheten wussten, wovon sie sprachen - nicht von abstrakten Ideen, sondern von etwas ganz Bestimmtem. Die Vision ist etwas ganz Spezifisches, etwas, womit der Herr beschäftigt ist und das im Leben derer, die sie haben, zu einer mächtigen, dominierenden Sache geworden ist; klar, deutlich präzise, spezifisch; etwas, das sie ergriffen, das die Meisterschaft und Herrschaft über sie gewonnen hat; so dass der ganze Zweck ihrer Existenz darin zusammengefasst ist. Solche Leute befinden sich an dem Platz, wo sie wissen, warum sie existieren, sie wissen, zu welchem Zweck sie leben und sind imstande, zu sagen, was es ist, und ihr Horizont ist an diese Sache gebunden; sie sind mit ihrem ganzen Leben, mit all seinen Aspekten, darauf ausgerichtet, darin positioniert. Ein ganz klares Ziel beherrscht für sie alles. Sie leben nicht einfach auf dieser Erde, tun viele Dinge und kommen irgendwie durch; sondern alles, was im Leben einen Platz hat, ist mit diesem bestimmten, klaren, alles beherrschenden Ziel verbunden. Eine solche Vision gibt dem Leben (erst) seine Bedeutung.

Es ist nicht nötig, dass ich euch durch Israels Geschichte führe, wie sie durch diese Wahrheit bestimmt wird. Ihr wisst sehr wohl, dass, ales Israel sich in einer richtigen Position befand, die Dinge genauso waren - klar ausgerichtet, bestimmt, alles auf einen einzigen Gegenstand konzentriert. Und bevor wir weitergehen, sagen wir nochmals, dass all diese Propheten - Männer, für das Volk die Augen Gottes repräsentierten, und die diesem Volk die Gedanken und den Vorsatz Gottes in Bezug auf sie deutlich machten, in Bezug auf ihre göttliche Berufung, auf Gottes Interpretation für ihre eigentliche Existenz - diese Propheten, die all as verkörperten, wurden alle in die neutestamentliche Heilszeit und in die Gemeinde eingebracht, mit der klaren Konsequenz, dass die Gemeinde genauso sein muss, wenn sie durchkommen will. Die Gemeinde muss etwas sein, das SIEHT, beherrscht von einem spezifischen Gegenstand oder einer Vision, wissend, warum sie existiert, ohne jeden Zweifel darüber, und in äußerster Hingabe daran positioniert, so dass sie alle anderen Dinge im Leben in völlige Übereinstimmung damit bringt. Unsere Haltung sollte die sein: Während wir in dieser Welt dies und jenes zu tun haben, unser Leben zu verdienen und unsere tägliche Arbeit verrichten, so ist dennoch etwas da, das alles übrige beherrscht: Es gibt eine göttliche Vision. All diese Dinge müssen sich dem einen göttlichen Ziel beugen.

Das ist die erste Konsequenz aus der Tatsache, dass die Propheten einen so großen Platz in dieser Heilszeit einnehmen. Wir können das nicht noch weiter im Detail aus dem Wort ausführen, doch wäre es sehr hilfreich, durch das Neue Testament zu gehen und zu sehen, wie das Einbringen der Propheten auf die verschiedenen Aspekte des Lebens der Gemeinde angewendet werden. Es ist sehr beeindruckend.

Die Vision - ein einigender Faktor

Auf diese Weise beherrschen die Propheten dieses Heilszeitalter. Diese Vision, DIE Vision, war der eigentliche Zusammenhalt und die Stärke Israels. Solange die Vision klar vor ihnen stand, wenn ihre Augen geöffnet und sie sehend waren, wenn sie mit Gottes Vorsatz übereinstimmten, wenn sie von diesem Ziel, zu dem sie Gott berufen hatte, beherrscht waren, waren sie EIN Volk, einsgemacht durch die Vision. Sie hatten ein lauteres Auge. Dieser kleine Ausdruck «wenn... dein Auge lauter ist» (Mt. 6,22) enthält eine ganze Menge mehr als wir bisher gemeint haben. Ein lauteres Auge - das umfasst das ganze Leben und den ganzen Wandel; es einigt euer ganzes Verhalten. Wenn ihr ein Mann oder eine Frau mit einer einzigen Idee seid, wird alles für das eingesetzt. Natürlich ist das nicht immer eine sehr glückliche Sache, obwohl es in dieser Sache der Fall ist. Leute, die von etwas besessen sind und, wie der Volksmund sagt, «eine Biene in ihrer Mütze haben», die über nichts anderes als nur über dieses eine reden können, sind oft sehr sehr mühsam zu ertragen. Aber es gibt auch eine richtige Art, eine göttliche Art, auf die das Volk Gottes ein Volk mit einem lauteren Auge, mit einer einzigen Idee, sein kann; und diese Lauterkeit des Auges koordiniert alle Fähigkeiten untereinander.

Während der seltenen Zeitperioden, in denen Israel so war, waren sie ein wunderbar geeintes Volk. Andererseits könnt ihr sehen, wie sie, wenn die Vision schwand und versagte, auseinander drifteten, wie sie zu Leuten von allen möglichen geteilten und schismatischen Interessen und Aktivitäten wurden, die sich untereinander stritten. Wie wahr ist doch dieses Wort: «Wo keine Offenbarung (Vision) ist, wird das Volk zügellos (es zerfällt in Stücke)» (Sprüche 29,18). Und so war es bei Israel. Seht, wie sie in den Tagen von Eli waren, wo es keine offene Vision mehr gab. Was für ein zerfahrenes, uneiniges Volk waren sie doch! Und das geschah oft! Die Vision war eine festigende, zusammenhaltende Kraft, sie machte ein Volk auf solide Art eins, und in dieser Einheit lag seine Stärke, und sie waren unwiderstehlich! Seht, wie sie nach der Überquerung des Jordans bei ihrem Angriff auf Jericho waren! Seht, wie sie triumphierend vorwärts marschierten. Solange sie von einem Ziel beherrscht waren, konnte keiner vor ihnen bestehen. Ihre Stärke lag in ihrer Einheit, und ihre Einheit gründete in ihrer Vision. Der Feind weiß, war er anrichtet, wenn er die Vision zerstört oder durcheinander bringt: Er trennt das Volk Gottes.

Die Vision - eine defensive Kraft

Was für eine defensive Kraft ist doch eine solche Vision! Wie gering sind die Chancen des Feindes, wenn wir ein Volk sind, das sich auf eine einzige Sache geeinigt hat. Solange wir alle möglichen trennende und persönliche Interessen vertreten, kann der Feind schrecklichen Schaden anrichten. Er hat jedoch keine Chance, wenn wenn jedermann auf das eine göttliche Ziel konzentriert ist. Es muss uns irgendwie auseinander bringen, uns ablenken, uns zerstreuen, bevor er sein Werk, das Ziel Gottes zu verhindern, ausführen kann. All jene Erscheinungsformen des Selbstmitleids, des Eigeninteresses, die stets eindringen und verderben, werden nie hereinkommen, solange die Vision klar ist und wenn wir uns als ein Volk danach ausrichten. Sie ist etwas ungeheuer Defensives. Der Apostel sprach davon, «im Fleiß nicht säumig» zu sein; «brennend im Geist, dem Herrn dienend» (Römer 12,11). Moffatt übersetzt «brennend im Geist» mit «die geistliche Glut bewahren». Mit ganzem Herzen auf ein einziges Ziel konzentriert zu sein ist etwas wunderbar Defensives. Ein solcher Zustand unter einem Volk schließt die Breschen und widersetzt sich den Übergriffen und dem Anprall aller möglichen Dinge, die ablenken und lähmen könnten.


Vision schafft Entschlossenheit und Wachstum

Die Vision war bei den Propheten wie eine Flamme. Ihr müsst das im Blick auf sie auf jeden Fall anerkennen - diese Männer waren Feuerflammen. Da gab es nichts Neutrales an ihnen; sie waren aggressiv, niemals passiv. Die Vision hat diesen Effekt. Wenn ihr wirklich gesehen habt, wonach der Herr aus ist, könnt ihr nicht halbherzig sein. Ihr könnt nicht passiv sein, wenn ihr seht. Findet eine Person, die gesehen hat, und ihr findet ein positives (d.h. konkretes) Leben. Findet dagegen eine Person, die nicht sieht, die nicht sicher ist, die sich nicht im Klaren ist, und ihr habt ein neutrales, ein negatives Leben, eines, das nicht zählt. Diese Propheten waren Männer wie Feuerflammen, weil sie sahen. Und wann immer Israel auf der Höhe seiner göttlichen Berufung war, dann war auch Israel genauso - positiv (konkret), aggressiv. Wenn die Vision verblasste, kamen sie zu einem Stillstand, kehrten sich in sich selbst, bewegten sich immer wieder im Kreis herum, und kamen nirgendwo hin.

Diese Aggressivität, dieses positive Wesen, welches die Frucht davon ist, dass jemand sieht, verschafft dem Herrn den Grund, den er für die richtige Art von Schulung und Disziplin benötigt. Das heißt nicht, dass wir nie Fehler machen. Ihr werdet im Neuen Testament sehen - und ich hoffe, ihr werdet mich deswegen nicht der Häresie bezichtigen - dass selbst ein gekreuzigter Mensch wie Paulus Fehler machen konnte. Ja, Apostel konnten Fehler machen. Und auch Propheten machten Fehler. «Was tust du hier, Elijah?» (1. Könige 19,9). «Du hast hier nichts zu suchen» - genau das bedeutet es. Ja, sowohl Propheten wie Apostel konnten Fehler begehen, und sie machten Fehler; aber dabei gilt es folgendes zu beachten - weil sie gesehen hatten, und weil sie ganz an das hingegeben waren, was sie vom Sinn des Herrn gesehen hatten, war der Herr im Übermaß fähig, aufgrund ihrer Fehler einzuschreiten und sie souverän zu bewältigen und seine Knechte etwas Weiteres von Sich selbst und seinen Wegen zu lehren.

Nun, das findet ihr nie bei Leuten, die unentschlossen sind. Die unentschlossenen Leute, diejenigen, die es nicht ernst meinen, die nicht hingegeben sind, lernen nie irgend etwas vom Herrn. Es sind die Leute, die sich verpflichten, die loslassen und in Richtung jedweden Maßes an Licht losziehen, das der Herr ihnen geschenkt hat, die, einerseits feststellen, dass ihre Fehler - gerade die Fehler ihres Eifers - durch die göttliche Souveränität aufgegriffen und bewältigt werden; und die andererseits, durch diese ihre Fehler vom Herrn darüber belehrt werden, was seine Gedanken sind, wie er die Dinge tut, und wie er sie nicht tut. Wenn wir in Unentschlossenheit und Ungewissheit einfach warten und nichts tun, bis wir alles wissen, werden wir nichts lernen.

Habt ihr bemerkt, dass es die Männer und Frauen sind, deren Herzen für Gott entflammt sind, die wirklich etwas vom Herrn gesehen haben und mächtig von dem ergriffen wurden, was sie gesehen haben, dass diese es sind, die etwas lernen? Der Herr lehrt sie; er lässt nicht zu, dass ihre Schnitzer und Fehler sie in den Abgrund der Zerstörung stürzen. Er behält souverän die Herrschaft, und auf die Dauer sind sie imstande, zu sagen: «Nun, ich habe mir zwar ein paar schreckliche Schnitzer geleistet, doch der Herr bemächtigte sich ihrer und machte daraus etwas, was mir zugute kam». Wenn wir so sind, mit einer Vision, die unser ganzes Wesen umfasst und uns beherrscht, verschafft das dem Herrn einen Grund, dass er sich um uns kümmert, auch wenn wir Fehler machen - weil seine Interessen auf dem Spiele stehen, weil seine Interessen und nicht unsere uns am Herzen liegen. Die Propheten und die Apostel lernten den Herrn durch ihre Fehler auf wunderbare Weise kennen, denn es waren nicht die Fehler ihres eigenen, widerspenstigen Eigenwillens, sondern einer echten Leidenschaft für Gott und für das, war er ihnen als Seinen Vorsatz gezeigt hatte.

Die Vision gibt dem Volk Gottes seine Überlegenheit

Und dann beachtet auch, dass die Überlegenheit Israels auf der Vision basierte. Sie waren von Gott berufen, ein überlegenes Volk zu sein, über allen Völkern der Erde, geistlich gesehen als ein Regierungsinstrument mitten unter die Nationen gesetzt. Der Herr hatte verheißen, dass es keiner Nation gelingen werde, die Herrschaft über sie zu gewinnen. Sein Gedanke für sie war, dass sie «der Kopf, und nicht der Schwanz» sein sollten (5. Mose 28,13). Aber das geschah nicht einfach mir nichts dir nichts, unabhängig von ihrem Zustand und ihrer Position. Nur wenn sie die Vision klar vor sich hatten, gemeinschaftlich, als ganzes Volk - beherrscht, bemeistert, geeinigt durch die Vision - waren sie der Kopf und nicht der Schwanz; nur dann waren sie den andern überlegen.

Und das führt wiederum diese Propheten ein. (Wir denken jetzt an die späteren Propheten Israels). Warum die Propheten? Weil Israel seine Position verloren hatte. Assyrien, Babylon und der Rest haben die Überlegenheit über sie gewonnen, weil sie ihre Vision verloren hatten. In den kleinen Propheten, wie sie genannt werden, findet ihr so vieles über diese Angelegenheit. «Mein Volk geht aus Mangel an Erkenntnis zugrunde» (Hosea 4,6). Das ist ein Ton, auf den alle Propheten eingestimmt waren. Warum dieser Zustand? Warum ist Israel jetzt der Unterlegene der Nationen? Die Antwort lautet: Die verlorene Vision. Der Prophet kommt, um zu versuchen, sie an den Ort der Vision zurück zu bringen. Der Prophet hat eine Vision, er ist das Auge des Volkes; er ruft sie zu dem zurück, wofür Gott sie auserwählt hat, um ihnen aufs Neue zu zeigen, warum er sie aus den Nationen genommen hat.

Die Vision braucht jedes Kind Gottes

All das unterstreicht bloß, welcher Platz der Vision zukommt. Vielleicht bringt das euch nicht sehr weit; ihr fragt euch wahrscheinlich, wohin das führen soll. Ihr sagt nun: «Gut, aber was ist diese Vision?» Das ist im Moment nicht der entscheidende Punkt; das kann später noch kommen. Der Punkt ist der, dass sie für die Gemeinde heute eine Notwendigkeit, eine absolute Notwendigkeit ist - für euch, für mich; und lasst mich sofort hinzufügen, auch wenn sie vorwiegend eine gemeinschaftliche Angelegenheit ist - d.h. etwas, was in einem Volk verankert sein muss, selbst wenn dieses Volk nur ein Überrest ist - auch wenn sie überwiegend eine gemeinschaftliche Angelegenheit ist, muss sie auch eine persönliche Sache werden. Ihr und ich, wir müssen auch persönlich an dem Punkt sein, da wir sagen können: «Ich habe gesehen, ich weiß, wonach Gott aus ist!»

Wenn man uns fragen würde, warum die Gemeinde so ist, wie sie heute ist, mit einem solchen Ausmaß an Kraftlosigkeit und Zerrissenheit, und was getan werden müsste, um mittels der Gemeinde einen Eindruck vom Himmel herbeizuführen, was könnten wir da sagen? Ist es anmaßend, zu behaupten, wir wären dazu imstande? Die Propheten wussten es; und denkt daran, die Propheten, ob sie nun zum Alten oder zum Neuen Testament gehörten, waren keine isolierte Klasse von Leuten, sie waren keine gesonderte Körperschaft, die das öffentlich vertraten. Sie waren die eigentlichen Augen des Leibes (Christi). Im Gedanken Gottes waren sie DAS VOLK Gottes. Ihr kennt dieses Prinzip; man kann es zum Beispiel in der Angelegenheit des Hohenpriesters sehen. Gott blickt auf den einen Hohepriester als auf ganz Israel, und er verfährt mit Israel auf der Grundlage des Zustandes des Hohenpriesters, sei er gut oder schlecht. Wenn der Hohepriester schlecht war - «Und er zeigte mir Josua, den Hohepriester... in schmutzige Gewänder gekleidet» (Sacharja 3,1-5) - das ist Israel. Gott verfährt mit Israel wie mit einem einzigen Menschen.

Was ich meine, ist dies: Wir haben es nicht nötig, dass uns die Vision durch eine Klasse von Dienern (ministers), Propheten und Aposteln nahegebracht wird. Sie sind bloß hier, um uns dem gegenüber lebendig zu bewahren, was wir vor Gott sein sollten, d.h., wie ihr sein solltet; ständig regen sie uns an und sagen: «Schaut her, das ist es, was ihr sein solltet». Es sollte deshalb für jeden von uns persönlich klar sein, dass wir uns in der Bedeutung dieses prophetischen Dienstes befinden. Die Gemeinde wird Prophet an die Nationen genannt. Darf ich meine Frage wiederholen - es ist eine erlaubte Frage, ohne jede Spur von Anmaßung - könntet ihr sagen, was die Gemeinde heute braucht? Könntet ihr den Zustand der Dinge interpretieren und tatsächlich durch das erklären, was euch der Herr in eurem eigenen Herzen gezeigt hat? Ich weiß, welche Gefahr eine solche Vorstellung umgibt, aber das ist die eigentliche Bedeutung unserer Existenz. Es wird in größerem oder kleinerem Maße in jedem von uns sein, doch ob mehr oder weniger, wir haben den Schlüssel zu der Situation. Gott benötigt Leute von dieser Sorte. Es muss persönlich sein.


Die Vision erfordert Mut

Doch vergesst nicht, das erfordert immensen Mut. Oh, der Mut dieser Propheten! - Mut im Gegensatz zu Kompromiss und Politik. Oh, was für ruinöse Auswirkungen hat doch die Politik, die nachträglichen Überlegungen! «Wie wird sich das auf unsere Gelegenheiten auswirken, wenn wir so entschieden sind? Wir das nicht unsere Gelegenheiten verringern, dem Herrn dienen zu können, wenn wir eine solche Haltung einnehmen?» Das ist Politik, und es ist zerstörerisch. Manch einer, der etwas gesehen hat und der angefangen hat, über das zu spreche, was er gesehen hat, hat eine solche Reaktionen von seinen eigenen Brüdern erlebt und unter denen, für die er verantwortlich war, dass er zurückgehalten wurde. «Es ist gefährlich, das weiterzuverfolgen!» Politik! Nein, davon war bei den Propheten nichts zu sehen. Sind wir hingegeben, weil wir gesehen haben?

Es wird etwas kosten; es ist gut, wenn wir uns dem stellen. Es gibt ein kleines Fragment in Hebräer 9 - «Sie wurden zersägt». Ein bestimmte Tradition sagt, das treffe auf Jesaja zu - dass er derjenige war, der zersägt wurde. Lest Jesaja 53. Es gibt nichts Sublimeres in der ganzen biblischen Literatur, und dafür wurde er zersägt. Hatte er recht? Nun, heute stehen wir auf dem Grund und haben den Nutzen von seiner Richtigkeit. Doch der Teufel hat das nicht gern, und deshalb wurde Jesaja zersägt. Ungeheure Werte hängen mit dem Sehen und mit einer kompromisslosen Hingabe an dieser Vision zusammen, aber es kostet uns auch sehr viel.

Wir wollen es damit belassen, wenigsten für den Augenblick; doch müssen wir uns vom Herrn behandeln lassen und sagen: «Wie viel habe ich gesehen? Nach all dem, was ich Woche für Woche von den Propheten gehört habe, nach all den Tagungen, Konferenzen, den Versammlungen, denen ich beigewohnt habe, habe ich schließlich die STIMME der Propheten gehört? Ich habe gehört, wie die Redner ihre Botschaften und Ansprachen gehalten haben: aber habe ich die STIMME gehört?» Die Auswirkung wird weitreichend sein, wenn wir sie wirklich gehört haben. Wenn nicht, dann ist es Zeit, dass wir deswegen zum Herrn gehen. Das darf so nicht weitergehen! Was geschah in Apostelgeschichte 13? Sie hörten, und hörten doch nicht; doch, wo gehört wurde, was für ungeheure Dinge geschahen da, welche Werte traten dabei zutage!

In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.